— 18 —
des Marx sehen werden — die ganze Kultur der Menschheit, Kunst, Religion
und Literatur, weiter nichts als der jeweilige Ueberbau der Wirtschaft und
deren Reflex; ändert sich der Unterbau, so ändert sich naturnotwen-
d i g mit blindem, ehernem Zwange, er mag wollen oder nicht, auch der
Ueberbau. Der Primat der Wirtschaft über das gesamte menschliche Geistes
leben ist unumstößliche Gewißheit und Elauenssatz des ganzen Marxismus,
des wissenschaftlichen Sozialismus überhaupt und der ganzen Sozialdemo
kratie. An diesem Dogma zu zweifeln ist Sünde gegen den heiligen Geist
und ist so schwere Eralslästerung, daß sie nur mit dem schwersten Kirchenbann,
mit der Ausstoßung gesühnt werden kann. Auf dem Boden dieses „histori
schen Materialismus" stehen sie alle, die Radikalen wie die Reformisten, er
ist die große Klammer, die das ganze Lehrgebäude stützt und die innerlich
widerstrebendsten Elemente fest zusammenschweißt! Er ist die Bibel'des So
zialismus und der (heutigen) Sozialdemokratie! Während Karl Marx auch —
wie wir später noch sehen werden — von Hegelschen Gedanken ausging,, sich
aber später in den denkbar schärfsten Gegensatz zu Hegel stellte, ist Lassalle
sein ganzes Leben hindurch begeisterter Hegelianer geblieben. Ganz deutlich
gibt er diese geistige Wurzel seines Wesens, diesen seinen geistigen Nähr
boden kund in seiner Vorbemerkung zu dem „System der erworbenen Rechte"
(S. XV Band 4 der von Erich Blum im Verlag von Karl Fr. Pfau-Leipzig
herausgegebenen, 6 Bände umfassenden Gesamtausgabe der Werke Lassalles),
„die Rechtsphilosophie als in das Reich des historischen Geistes, gehörend,
hat es nicht mit logisch-ewigen Kategorien zu tun, sondern die Rechts
institute sind nur die Realisation historischer Eeistesbegriffe, nur der Aus
druck des geistigen Inhalts der verschiedenen historischen Volksgeister und
Zeitperioden und daher nur als solche zu begreifen." Bei aller Ablehnung
des Baues und der Architektonik der Philosophie Hegels in ihren Einzel
heiten erklärt er dann im selben Vorwort auf derselben Seite, „die Grund-
prizipien und ihre Methode" beizubehalten, „es ist immer dieselbe von Hegel
getragene 'Fahne, die nur auf einem anderen Wege zum Siege geführt wer
den soll. Es sind immer die Grundprinzipien und die Methode der Hegel
schen Philosophie, die nur gegen Hegel Recht behalten." So war er ganz
in schroffstem Gegensatz zu Marx Idealist durch und durch, felsenfest über
zeugt von der selbständigen Existenz des Geistes, die Geschichte bedeutet ihm
ganz.wie dem Meister Hegel die schrittweise Verwirklichung des „Absoluten".
Die allgemeine Quelle allen Rechts, sein Ausgangspunkt und seine Stütze ist
nach Lafsalle das gemeinsame Bewußtsein des' ganzen Volkes, der allge
meine Geist, ändert sich dieses allgemeine Bewußtsein, so ändert sich auch
das aus ihm entflossene Recht. Eine Entschädigungspflicht für den Staat
ist daher — eine heute besonders zeitgemäße Erinnerung — bei grundlegen
den Rechtsänderungen nicht anzuerkennen, das Sonderinteresse und das
Sonderbewußtsein muß sich aber dem geänderten allgemeinen Bewußtsein
und der hierdurch bedingten Rechtsumgestaltung fügen! Welcher grandiose
Unterschied zu Marx, bei dem das Recht nicht ein Ausfluß des allgemeinen
Geistes, sondern der Diener der jeweiligen Wirtschaft ist.
Unter Anwendnug dieser grundlegenden Gedanken auf die Institution
des Erbrechts zeigt nun Lassalle, wie das römische Erbrecht der Un
sterblichkeitsidee des römischen Volksgeistes entsprungen sei, der Testaments-