Object: Industriewirtschaftliche Zeitfragen aus dem Tätigkeitsgebiet des Reichsverbandes der Deutschen Industrie

len Vertragsgegner umfassen. Musterbeispiele solcher Handelsverträge sind die von 
“rankreich und Italien mit der Schweiz und den österreichsungarischen Nachfolgestaaten 
ıbgeschlossenen Verträge, die auf die Exportindustrie gerade Deutschlands Bedacht 
ıehmen. Die Spezialisierung der Zolltarifschemen und die Schaffung von Ex-Positionen 
n den Verträgen vermindern naturgemäß den Wert der Meistbegünstigung ganz außer: 
ordentlich. Ein anderes kommt hinzu: Wenn die Zollsätze so. hoch sind, daß sie die An- 
ahnung normaler Geschäftsbeziehungen mehr oder weniger ausschließen, bringt auch die 
Gewährung der niedrigsten Sätze nur geringe Vorteile, insbesondere hat sich bei Frankreich 
ınd Belgien ergeben, daß auch die Minimaltarife für manche deutsche Exportindustrien 
ınübersteigbar sind. Völlig problematisch wird aber gegenüber solchen Zolltarifen des 
Auslands die Meistbegünstigung, wenn das Ausland in den Verträgen sich die Möglichkeit 
vorbehält,; seine Tarife während der Vertragsdauer willkürlich zu erhöhen. Der jüngst vers 
Sffentlichte Entwurf der französischen Zolltarifnovelle, die für fast alle deutschen Export: 
ırtikel wesentliche Erhöhungen des Minimaltarifs und des Generaltarifs vorsieht, ist ge- 
signet, manchen deutschen Exportindustrien jedes Interesse an dem Zustandekommen eines 
deutsch-französischen Handelsvertrags zu nehmen, gleichgültig, ob dieser Handelsvertrag 
ihren Erzeugnissen die Meistbegünstigung sichert oder nicht. 
Alle diese Umstände haben die deutsche Regierung allmählich dahin gebracht, bei 
den Handelsvertragsverhandlungen ihr Augenmerk nicht mehr ausschließlich oder in erster 
Linie der Frage der Meistbegünstigung zuzuwenden, sondern auch der absoluten Höhe der 
Zollsätze unserer Verhandlungsgegner die schärfste Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn 
diese Entwicklung, die Deutschland durch seine Vertragsgegner aufgezwungen wird, weiter 
ihren Fortgang nimmt, werden die Handelsverträge ein anderes Gesicht bekommen müssen, 
als wohl noch bei Beginn der Verhandlungen wenigstens von der Regierung angenommen 
wurde, Aus den Meistbegünstigungsverträgen nach dem Vorbild des deutsch-amerikani- 
schen und des deutschzenglischen Vertrages werden mehr und mehr reine Reziprozitäts- 
verträge, in denen die Vertragsparteien Bindungen in bestimmter Höhe festgesetzter Zoll- 
3ätze miteinander austauschen. In diesen Reziprozitätsverträgen wird man zwar auf die 
Meistbegünstigung nicht verzichten können; sie wird aber nur mehr eine Ergänzung der 
vom Vertragsgegner erreichten Zollbindungen darstellen. Der Abschluß solcher Verträge 
wird bei der Haltung unserer Vertragsgegner auf nicht geringe Schwierigkeiten stoßen 
and wird insbesondere bei Frankreich lebhaften Widerstand finden, da die französische 
Regierung immer noch auf dem Standpunkt steht, daß ihr Minimaltarif nicht ermäßigt 
werden könne. Nur diese Form der Handelsverträge wird aber der deutschen Exportindu- 
strie stetige Absatzverhältnisse während der Dauer des Vertrages sichern. 
Der Erfolg der im Gang befindlichen und noch bevorstehenden Handelsvertrags- 
verhandlungen wird davon abhängen, in welchem Maße es gelingen wird, die günstige 
Position, die Deutschland gegenüber seinen Vertragsgegnern einnimmt, auszunützen. Die 
Stärke Deutschlands in diesen Verhandlungen liegt in der Größe seines Marktes als Ab- 
satzgebiet für ausländische Erzeugnisse. Deutschland ist mit seiner Bevölkerung von über. 
% Millionen Menschen neben England immer noch der größte und kaufkräftigste Markt! 
Europas. Um diesen Markt ihren Erzeugnissen zu öffnen, werden die anderen Staaten! 
'etzten Endes bereit sein, Opfer zu bringen, indem sie auch ihre Märkte der deutschen 
Axportindustrie wieder zugänglich machen. Voraussetzung hierzu ist, daß deutscherseits 
die Verhandlungen mit allen Kampfmitteln und allen Verteidigungswaffen der Handels4 
oolitik durchgefochten werden. Das wichtigste Rüstzeug für solche Verhandlungen, ein für 
len Verhandlungskampf geeigneter deutscher Zolltarif, fehlte bei Beginn der Verhand:- 
lungen. Denn der deutsche Zolltarif von 1902 enthält für die wichtigsten Exportwaren unserer 
Vertragsgegner zum großen Teil Zollsätze, die der fremden Einfuhr kaum lästig fallen. Die 
iremden Staaten werden nicht seneigt sein der deutschen Ausfuhr wesentliche Zugseständ: 
7
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.