124 I. Buch B III: K. Oldenberg, Wirtschaft, Bedarf u. Konsum. § 5
Unsere Erörterung kommt so zu dem Schlüsse: der Konsument schätzt den Wert
der Konsumtion und ihres Inhalts verschieden nicht nur in verschiedenen Zeitaltern,
sondern auch je nach der Stufe seiner sittlichen Erziehung. Ob er die Konsumtion
in den Dienst überweltlicher Pflichten stellt, oder in den Dienst gesellschaftlicher
Rücksichten, oder in den Dienst der Selbsterziehung oder altruistischer Zwecke:
lediglich Selbstzweck ist ihm die Befriedigung seiner Bedürfnisse nur auf rohester,
reflexionsloser Kulturstufe. Daß vollends der mechanische Maßstab der verbrauch
ten Wertmengen untauglich ist, die wirkliche Bedeutung der Konsumtionszunahme
für die Konsumenten erkennen zu lassen, sollte sich von selbst verstehen. Ein psy
chophysisches Gesetz, das die Beziehung der Reizstärke zur Empfindung formuliert,
ist für das Gebiet der Konsumtion so einfach nicht zu finden.
§ 5. Allgemeine Statistik der Konsumtion.
Die tatsächliche Gestaltung der Konsumtion findet ihre einfachste Formel in
der Gewichtszahl von Gütern einer Gattung, die im Durchschnitt einer Bevöl
kerung pro Kopf jährlich konsumiert werden. Wir wählen als Beispiel die ver
hältnismäßig gut ausgebaute Statistik des Alkoholkonsums; die Statistik
der Alkoholbesteuerung hat die Grundlage gegeben.
Ueber den Alkoholkonsum gibt es eine große Literatur, auf die im ersten Para
graphen schon hingewiesen wurde. Der Rahmen dieser Abhandlung erlaubt nur den
andeutenden Hinweis auf wenige Gesichtspunkte. Einerseits scheint es, so sehr das
gelegentlich bestritten wird, nach der neueren, hauptsächlich durch die englischen
Parlamentsdrucksachen fundierten Statistik, daß Weinproduktionsländer die stärk
sten Trunkländer sind, ebenso wie Fleischproduktionsländer weitaus das meiste
Fleisch konsumieren. Nach S t r u v e s Tabelle >) war im Durchschnitt der
Jahre 1900—1904/5 der Kopfkonsum reinen Alkohols, in Litern gemessen:
Bier
Wein
Branntwein
zusammen
Frankreich
1,34
17,54
3,54
22,42
Italien
0,03
13,44
0,66
14,13
Belgien
8,72
0,56
3,69
12,97
Schweiz
Großbritannien
2,56
6,88
2,55
11,99
mit Irland
8,32
0,22
2,3
10,84
Dänemark
3,78
6,95
10,73
Deutschland
4,78
0,66
4J
9,54
Oesterreich-Ungarn
1,72
3,42
2,13
5,15
9,00
Vereinigte Staaten
0,28
2,7
6,4
Schweden
2,26
—
3,89
6,15
Rußland
0,18
—
2,47
2,65
Norwegen
0,67
—
1,58
2,25
Den Wirtschaftsgeographen wird es interessieren, daß die Gebiete stärksten
und schwächsten Konsums einigermaßen klimatische Einheiten bilden, und zwar
wird im kalten Klima am wenigsten Alkohol umgesetzt. Belgien mit seinem
starken Bier- und geringen Weinkonsum, sowie Großbritannien mit Irland, stehen
den Weinkonsumtionsländern in der Höhe des Alkoholverbrauchs am nächsten, zwei
Länder alter wirtschaftlicher Kultur. Im kalten Klima fällt der Branntwein mehr ins
Gewicht, zum Teil wohl aus Gründen der Pflanzengeographie. Den Ethnographen
würde es interessieren, daß Romanen, Germanen und Slaven eine absteigende Stufen
fingierten Optimum der Befriedigung zeitweise näher gekommen sein als die Typen unserer
am meisten zivilisierten Zeitgenossen. Eine Wiederannäherung an dieses, nur in der Richtung
vorhandene, niemals greifbare Optimum wird von dem Gange der geistigen Kultur mehr als
von einer Vervollkommnung der wirtschaftlichen Befriedigungsmittel abhängig sein.
*) Abgedruckt im 3. Teile des amtlichen Denkschriftenbands zur Begrün
dung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Aenderungen im Finanzwesen, Berlin 1908,
S. 83. Neuere Daten (beim Wein nur für die Produktion) bei B a 11 o d , Grundriß der Sta
tistik, 1913, S. 127 f.