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Die Entstellung des wirtschaftlichen Imperialismus.
einer Yölkergruppe und der Benachteiligung einer anderen
Völkergruppe ist das Wesen des mit gewaltsamen Mitteln
arbeitenden modernen Imperialismus. Es soll nach den Vorschlägen der
Pariser Wirtschaftskonferenz von 1916 eine Ausdehnung auf die Wirt
schaftspolitik aller im Weltkriege gegen den Vierbund alliierten
Völker finden.
In England fehlte es dem Wirtschaftskriege nicht an der volks
tümlichen Begründung. Es verstummten die Klagen der kleinen Händler
gegen die deutsche Konkurrenz nicht. Eine Flugschrift, die unter der
Überschrift „The War on German trade“ mit einem Vorwort von Sidney
Whitman die deutschen Handelskniffe und den englischen
Mangel an Unternehmungsgeist als Ursachen der Verdrängung Englands
von den eigenen Märkten bezeichnete, hatte die Regierung geradezu zum
Wirtschaftskriege aufgerufen. Nicht nur im Absätze selbst, sondern auch
in der überseeischen Vermittlung, im Bank- und Wechselgeschäft, in den
Gas- und Elektrizitätsgesellschaften machte sich die deutsche Expansion
fühlbar. Die Bankleiter der kontinentalen englischen Filialen, ja selbst
der Leiter der größten französischen Bank in London waren Deutsche,
ebenso viele Kommissionäre und „Middlemen“ (Eulenburg, Möglich
keiten 29). Der englische Premierminister sprach bei der Verteidigung
der Pariser Vorschläge für den Wirtschaftskrieg nach dem Friedenschluß
(„war after war“), am 3. August 1916 von einem wirtschaftlichen A n-
griffe Deutschlands auf die Märkte der Alliierten, der eine Defen
sive rechtfertige. Davon soll später noch eingehend die Rede sein.
Auch die koloniale Expansionspolitik Englands bediente sich
von jeher der militärischen Mittel. Sie schritt ehedem sofort zur
militärischen Eroberung des wirtschaftlich zu erschließenden Landes und
zur Niederringung des jeweilig stärksten Mitbewerbers im Überseehandel;
sie benützte die Bindung der übrigen Kolonialmächte durch innere oder
wechselseitige Streitigkeiten zur Begründung eines riesigen Kolonial
reiches; sie hat derart den spanischen und portugiesischen, dann den
holländischen und endlich den französischen Wettbewerber niederge-
rungen.
In hervorragender Weise aber arbeitet der wirtschaftliche Imperialis
mus England? mit den im Vergleiche zur militärischen Gewalt als
friedlich hingestellten Mitteln, die aber in ihrem Kerne die An
wendung wirtschaftlichen Druckes (pression economique)
bedeuten. Das System des Erwerbes wirtschaftlicher Neuländer durch
Handelskompanien ist von England im Anschluß an das holländische
Vorbild (Hör st man) entwickelt worden. Seit 1600 leistete die Ost
indische Handelskompanie Pionierdienste in der wirtschaftlichen Durch
dringung; sie wird durch die East India Bill des jüngeren Pitt von
1784 zwar in militärischen und politischen Angelegenheiten der könig