W AN D E RUN GS VORG AN G ELS.-LOTHR. BEVÖLKERDNGSGRUPPEN. 33
kriegszeitlichen Größe nicht leben kann. Von 10,396 Mil
liarden Einfuhr im Durchschnitt der Jahre 1911/18 waren
für 3,080 Milliarden Mark Lebensmittel und Vieh 1 ). Wir
waren mächtig geworden, aber abhängig von fremden
Märkten. Eine Stockung des Absatzes unserer Export
industrie mußte vielen Tausenden von Deutschen den
Hunger bringen. So konnte Oldenberg schon 1897 auf
dem evangelisch-sozialen Kongreß sagen :
„Die wachsende exportindustrielle Bevölkerung findet in einer
nicht fernen Zukunft weder Absatz für ihre Produktion noch Brot
für ihre Existenz. Man will Deutschland mächtiger machen und ver
strickt es immer tiefer in fremde Ketten .... Selbständigkeit, das
ist die Macht ohne Breitspurigkeit.“
Doch darüber zu diskutieren, ob wir vor dem Kriege
die Möglichkeit und die Pflicht hatten, in dem von Olden
berg hier angedeuteten Sinne unserer Entwicklung eine
andere Richtung zu geben, oder ob es um unserer kultu
rellen Förderung willen nötig war, in engster Fühlung mit
der Weltkultur zu stehen und uns von dem Agrar-Manu-
fakturstand zum Agrar-Manufakturhandelsstaat zu ent
wickeln mit einer Verschiebung des Schwergewichts auf
Manufaktur und Handel, hat heute keinen Zweck mehr.
Wir mußten auf diese vorkriegszeitliche wirtschaft
liche Struktur Deutschlands hinweisen, um uns klar zu
machen, in welchem furchtbaren katastrophalen Zustand
unsere Volkswirtschaft sich heute befindet. Der Ver
sailler „Frieden“ hat Deutschland nicht nur schwere Lasten
aufgebürdet, er hat ihm einen Teil seiner Lebensbedingun
gen genommen.
Sämtliche Säulen, auf denen unser Export, von dem
ein Teil unseres Volkes lebte, ruhte, sind zerbrochen. Die
deutschen Kaufleute, die allenthalben in der Welt, unsere
Ein- und Ausfuhr vermittelnd, sozusagen unsere lebendigen
Kolonien waren, sind aus den Entente-Staaten verjagt,
unsere Handelsflotte ist uns genommen — von dem uns
gebliebenen Rest kann man nicht sprechen — das deutsche
1) Mombert, a. a. 0.
Ernst, Eingliederung d. Elsaß-Lothr. ins deutsche Wirtschaftsleben. 3