184 Vierter Abschnitt. Konjunkturprognose und Konjunkturpolitik.
speziellen Arbeiterverhältnisse der betreffenden Unternehmung eine
große Rolle. Von rein sozialpolitischen Rücksichten, wie sie bei
der Frage der Arbeiterentlassungen auch häufig eine Rolle spielen
können, sei an dieser Stelle abgesehen. Wir hören z. B. aus der
Wollindustrie, daß dort, wo, wie in Mühlhausen i. E., im Vogt
lande, in Zwickau oder in Leipzig, die Kammgarnspinnereien kon
zentriert sind, wo also eine sehr große Anzahl von Betrieben zu
sammen liegen, die Arbeiterentlassungen und demgemäß auch die
Lohnverluste während der Depression, einen wesentlich größeren
Umfang annahmen, als dorten, wo die Betriebe mehr isoliert lagen,
vor allem in solchen Gegenden, wo andere Textilzweige nicht ver
treten waren 1 ). Unter diesen letzteren Verhältnissen nämlich, mußte
man bei Arbeiterentlassungen mit einer Abwanderung der entlassenen
Arbeiter rechnen, ohne daß die Sicherheit vorhanden war, bei
wieder eintretendem Bedarf mit einer Besserung der wirtschaftlichen
Lage, den alten Arbeiterstamm wieder zu erhalten. Hier war es
deshalb notwendig, selbst bei unlohnenden Preisen den Versuch zu
machen, den Umfang der Produktion aufrecht zu erhalten, oder, wo
dies vorteilhafter schien, den entstehenden Lohnausfall selbst zu
tragen. Von einer Reihe von Fabriken aus der Wollindustrie wird
uns nämlich berichtet, daß sie eine Zeitlang bei einer täglichen
Einschränkung der Arbeitszeit auf 6 Stunden den vollen Tagelohn
einer lOstündigen Arbeitszeit weiter gewährt haben.
Man hat auch schon darauf hingewiesen, daß diese besondere
Lage der kapitalintensiveren Betriebe ganz allgemein den Unter
nehmer veranlaßt, den Versuch zu machen, dauernd einen Teil seiner
Arbeiterschaft an sich zu fesseln und daß es damit zusammenhängt,
daß man gerade bei solchen Unternehmungen vorzugsweise Arbeiter
wohlfahrtseinrichtungen, vor allem auch Wohnhäuser für die Ar
beiter, antrifft.
Mit solchen Erwägungen, einem Steigen der Kosten bei zu
großer Einschränkung der Produktion, und der Notwendigkeit,
Arbeiterentlassungen dann vornehmen zu müssen, steht es dann auch
wieder in Beziehung, ob und in welchem Maße einzelne Industrie
zweige oder Unternehmungen sich genötigt sehen, während der
Depression auf Lager zu arbeiten, mit der Hoffnung, ihre Vorräte
dann in besseren Zeiten abstoßen zu können. Wir hören dann auch
aber wieder von anderen Mitteln und Wegen, welche eingeschlagen
worden sind, um sich während der Depression vor einem zu starken
Rückgang des Absatzes zu schützen. Manche Unternehmungen
U Sehr. d. V. f. Sp. Bd. 105. S. 232.