§ 4. Beeinflussung des Handels durch geographische 'Wirkungen. 21
Beispiel: Ein klassisches Beispiel für die Bedeutung der wirtschafts-
f eographischen Spannung bietet uns Großbritannien und die nordamerikanische
inion hinsichtlich des Weizens. Hier entsprechen sich Lehensgewohnheiten,
Lebenshaltung usw. in hohem Grade, aber die Getreideerzeugung führt hier zu einer
ungeheuren Spannung zwischen beiden Ländern. Denn während in der Union auf
den Kopf der Bevölkerung, von der ein nicht geringer Teil auch Maismehl genießt,
mehr als 200 kg Weizen geerntet werden (im Deutschen Reiche etwa 60—70 kg),
beträgt die entsprechende Menge in dem fast nur Weizenmehl verbrauchenden
Inselreich nur die knappe Hälfte (30—40 kg) der in Deutschland auf den einzelnen
entfallenden Weizenmenge. So entsteht jene gewaltige Getreideeinfuhr aus den Ver
einigten Staaten, die für die Ernährung des britischen Volkes unerläßlich ist. Muß
doch Großbritannien neuerdings nicht viel unter 800 Mill. M. allein für dies Brot
getreide an das Ausland zahlen.
Nun kommen freilich für die wirtschaftsgeographische Spannung
nicht allein Ueberschuß und Untererzeugung einer bestimmten Ware
in Frage, sondern von rein geographischen Einflüssen auf den Preis
sind als sehr wesentliche auch die Entfernung und die Art der Trans
portmittel zu erwähnen. Ja, sie überwiegen unter Umständen sogar
die Unterschiede der Produktionsmengen ganz bedeutend. Knüpfen
wir an die in dem eben gegebenen Beispiel erwähnte Höhe des
Weizenbedarfs der Engländer an, so erkennen wir, daß auch zwischen
ihnen und den Russen ein ähnlicher Gegensatz der Verhältniszahlen
der Erzeugung besteht. Gleichwohl sind die Vereinigten Staaten der
Hauptlieferant Großbritanniens, denn der Transport von dort ist er
heblich bequemer und billiger als derjenige aus den im inneren Ruß
land gelegenen Weizendistrikten.
Diese Erwägung führt uns ganz von selbst zu der Bedeutung
der Entfernungen im Handel, die die Geographie desselben in enge
Beziehungen zu derjenigen des Verkehrslebens setzt. Das Studium
der Verkehrswege muß für jedes Handelsgut erfolgen, da unter Um
ständen die Verbindung mit dem Verbraucherlande viel wichtiger ist
als der Grad des Ueberschusses im Ursprungslande. Wäre z. B. die
Ausfuhr von Reis aus dem den Markt beherrschenden hinterindischen
Erzeugungsgebiet auf den Dampferverkehr durch den Suezkanal an
gewiesen, so ist fraglich, ob das wichtige Nahrungsmittel in Europa
zu dem Preise geliefert werden könnte wie heute, wo es zumeist von
großen Segelschiffen bis zu uns gebracht wird. In diesem Falle ist
das Transportmittel wichtiger als der Transportweg, der ja weiter ist
als durch den genannten Kanal.
Aber auch in den sehr zahlreichen Fällen, in denen der Weg
die Preisbildung und damit auch die Absatzmöglichkeit einer Ware
entscheidet, ist er keineswegs immer mit der bloßen linearen Ent
fernung gleichzusetzen. Freilich sind wir in den meisten Fällen in
der Lage, ihn auf eine solche zurückzuführen.
Beispiel: Eines der sinnfälligsten Beispiele für diesen Satz bietet uns die
Segelschiffahrt. Ehe das südwestafrikanische Schutzgebiet mit der Kapkolonie
durch einen Dampferverkehr verbunden war, wurden die Beziehungen zwischen
beiden Gebieten durch einen kleinen Segler aufrecht erhalten. Dieser legte den
Weg von Kapstadt nach Walfischbai, dem damaligen Eingangspunkte in die Kolonie,
in ungefähr 8 Tagen zurück, da er auf der Fahrt nach Norden die regelmäßigen
südlichen Winde des Küstenmeeres benutzen konnte. Die Rückreise, wo er ge
nötigt war, über einen großen Teil des Atlantischen Ozeans zu kreuzen, um vor
dem Erreichen des Kap der guten Hoffnung wieder in günstigen Fahrwind zu ge
langen, nahm dagegen bisweilen die fünffache Länge der Hinreise in Anspruch. Daß
unter diesen Umständen wohl an eine Einfuhr aller möglichen Dinge, nicht aber
an eine Ausfuhr billigerer Güter irgendwelcher Art aus dem Schutzgebiet zu denken
war, leuchtet hiernach jedem ohne weiteres ein.