dem schönen, verblühten jungen Mädchen der wohl
habenden Klassen, das unter Tränen erzählt, sie müsse
auf den Mann, den sie liebt, verzichten, weil er sie mit zwei
tausend Mark im Jahre nicht erhalten kann, wie bei dem
Vater, der an den Freier seiner Tochter offen die Frage
stellt, wieviel er ihr zu bieten vermag, ehe er seine Einwilli
gung gibt, ist es Tatsache, daß unter den bestehenden Ver
hältnissen nicht die Geschlechtsanziehung, Leidenschaft
oder Neigung, sondern der ganz außerhalb liegende Fak
tor des materiellen Besitzes des Mannes in hohem Maße
v
über die Geschlechtsverbindungen entscheidet. Der fau
lenzende, unnütze Dandy, der seine Studien nicht zu Ende
brachte, der weder Männlichkeit noch persönlichen Reiz
oder Charakter, wohl aber Reichtümer besitzt, hat weit
mehr Aussicht auf unbeschränkte geschlechtliche Befriedi
gung und die Lebensgemeinschaft mit dem schönsten Mäd
chen als etwa der Hofmeister ihres Bruders, der alle männ
lichen Tugenden, äußeren Vorzüge und geistigen Gaben be
sitzen mag. Und der alte Wüstling, der nichts als materielle
Güter sein eigen nennt, hat, besonders in den sogenannten
oberen Klassen unserer Gesellschaft, weit größere Aus
sicht, die geschlechtliche Gemeinschaft mit jeder Frau, die
er als Frau, Maitresse oder Prostituierte wünscht, zu errei
chen, als der physisch reizvollste und geistig hochstehendste
Mann, der der abhängigen Frau nichts als Liebe und Ge
schlechtsgemeinschaft zu bieten hat.
Für jenen Mann, wo immer in unserer Gesellschaft er
sich findet, der bei Eingehung einer erwünschten Ge
schlechtsverbindung nicht auf die Kraft, persönlich Nei
gung zu gewinnen und zu bewahren, sondern auf die Kauf
kraft seines Besitzes gegenüber der Besitzlosigkeit der
Frauen seiner Gesellschaft angewiesen ist, würde bei einer
sozialen Wandlung, die der Frau eine größere ökonomische
Unabhängigkeit und damit größere Freiheit der geschlecht
lichen Wahl gibt, der persönliche Verlust ein ernster und
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