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hut der Menschheit hat in ihrem Kampf um Gedankenfrei
heit den Sieg erfochten.
Jenen Männern und Frauen aber, die an diesem gewalti
gen Kampfe im Laufe vieler Jahrhunderte der Vergangen
heit teilgenommen haben, war wahrscheinlich in ihrer
Mehrheit nichts anderes klar, als ihr eigenes momentanes
Vorgehen. Auch die Führer kannten nicht den ganzen Um
fang des Schlachtfeldes, auf dem sie im Kampf standen,
oder erfaßten genau, was der Ausgang bedeutete — am
wenigsten der gute alte Luther, selbst als er sein unsterb
liches: „Ich kann nicht anders 1“ sprach, diese ewig gül
tige Rechtfertigung aller Reformatoren und Erneuerer.
Auch der kühne Engländer, der, als die Flammen des
Scheiterhaufens über ihm zusammenschlugen, seinem To
desgefährten zurief: „Sei guten Muts, Ridley, wir zünden
heute in England ein Licht an, das mit Gottes Hilfe nie
mehr erlöschen wird!“ sah zweifellos in diesem Licht
nur die Talgkerze der Freiheit einer kleinen englischen
Sekte und wußte nicht, daß es nur ein Strahl der großen
allgemeinen Morgenröte der Denk- und Geistesfreiheit war,
deren Licht endlich nicht nur England, sondern die ganze
Erde überströmen sollte. Nichtsdestoweniger liegt unzwei
felhaft hinter all diesem beschränkten Streben für schein
bar oberflächliche, beschränkte Ziele, ein tiefes, wenn
auch unklares Bewußtsein, das die Herzen dieser Män
ner und Frauen während all dieser Jahrhunderte erfüllte,
ein Bewußtsein, daß ihr Handeln einem Ziele, das größer
sei als sie klar erkannten, einer allgemeinen Verpflich
tung, einer großen Notwendigkeit diene.
Daß die Frauenbewegung unserer Tage ihren Ursprung
nicht bloß von irgendwelchen theoretischen Argumenta
tionen nahm, daß sie bald hier, bald dort in verschiedenen
und manchmal scheinbar unvereinbaren Formen an den
Tag tritt, daß die Mehrzahl der Teilnehmerinnen infolge
eines momentanen Druckes der Lebensverhältnisse zum