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sieht dabei wohl die Frage im Vordergrunde des Interessses, ob der
Sicherungspakt von Locarno uns wesentliche Erleichterungen auf wirtschaft-
lichem Gebiete bringen kann. Ich stehe auf dem Standpunkte, daß Locarno
unser ganzes Wirtschaftsleben weiter stabilisieren wird, so daß alle wirtschaft-
lichen Kalkulationen sicherer und damit auf längere Sicht ermöglicht werden.
Damit wird auch unsere Kreditfähigkeit im Auslande gestärkt werden. Das
sind z. T. außerordentlich wichtige Notwendigkeiten, deren Wert hoch an-
zuschlagen ist.
Keinenfalls darf man aber darum glauben, daß unsere ganze wirtsschaft-
liche Lage dadurch eine schnelle Besserung erfahren kann. Deutschlands
wirtschaftliche Isolierung der Kriegszeit hat noch nicht aufgehört, sondern
ist nur abgeschwächt. Sie wird auch durch Locarno nicht beseitigt, sondern
allmählich weiter abgeschwächt.1) Einstweilen sperren sich unsere ehemaligen
Absatzländer noch stark durch Zölle ab, um ihre Inlandindustrie weiter zu
entwickeln, und verhindern auch den Austausch von Arbeitskräften. Dazu
ist die Kaufkraft der ganzen Welt infolge dieser Sperrmaßnahmen, infolge
der falschen Goldverteilung auf die Länder und aus anderen Ursachen ge-
sunken. Darum sind die Aussichten einer erheblich besseren Beschäftigung
unserer Industrie zunächst noch wenig rosig. Es kommt hinzu, daß der
teilweise Leerlauf eines großen Teiles unserer industriellen Anlagen die
Stückkossten unserer Waren ebenso belastet wie die erdrückenden Steuern und
Abgaben, sowie die hohen Zinsen für Leihkapitalien. Demzufolge ist auch
an einen schnellen und radikalen Abbau der Arbeitslosigkeit unter den
Industriearbeitern und dem sonstigen Industriepersonal nicht zu denken.
Das hat aber wiederum zur Folge, daß auch die Kaufkraft der übrigen
sstädtischen Bevölkerung sich sobald nicht durchschlagend bessern kann. Unter
dem Mangel an Kaufkraft der Industriebevölkerung aber leidet
die deutsche Landwirtschaft weitaus in erster Linie. Die zahlungs-
fähige deutsche Indusstriebevölkerung hat die deutsche Landwirtschaft vor
dem Kriege in erster Linie wohlhabend gemacht, die Zahlungsunfähigkeit
der Industriebevölkerung macht die deutsche Landwirtschaft heute wieder
arm. Warum stehen denn die Preise der wichtigsten Agrarprodukte heute
so niedrig? Doch in erster Linie deshalb, weil die Stadtbevölkerung nicht
bezahlen kann. Das gilt ganz besonders für die Viehpreise und für die
Roggenpreise. Letztere ständen noch niedriger, wenn der Roggenexport sie
nicht noch einigermaßen hielte. In einem Lande, dessen Bevölkerung zu
zwei Drittel Industriebevölkerung ist, gilt nicht mehr das in Agrarexport-
ländern berechtigte Sprichwort „Hat der Bauer Geld, hat's die ganze
Welt“, sondern da muß man es umkehren und sagen „Wo soll der Bauer
1) Unsere Elektrizitätswirtschaft und chemische Industrie zeigt z B. in der neuesten
Zeit eine Besserung ihrer Lage auf.