ERBEN WE
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nisse zu konsumieren imstande wäre. Sie ist deshalb fast aus-
schliesslich Export-Industrie. Als solche kann sie nur solange
bestehen, als sie auf auswärtigen Märkten den Mitbewerb der
übrigen Industriestaaten auszuhalten vermag. Die Konkurrenz-
fähigkeit bestimmt sich durch den Preis und der Preis durch die
Produktionskosten. Einen der Faktoren dieser Produktionskosten
bildet die Arbeitszeit in den Fabriken. Es ist ein Irrtum zu glauben,
die Arbeitszeit könne allgemein beliebig vermindert werden, ohne
dass dadurch die Produktionskosten steigen. Richtig und durch
Erfahrungen im In- und Ausland nachgewiesen ist bloss, dass bei
einzelnen Industrien, die vom Arbeiter entweder grosse körper-
liche Anstrengungen oder besondere geistige Regsamkeit oder
beides verlangen, eine Reduktion der Arbeitszeit auf 9 oder 8 Stunden
vorgenommen werden kann, ohne dass der Leistungseffekt wesent-
lich kleiner wird. Anders verhält es sich aber bei Industrien, die
dem Arbeiter beispielsweise nur die Aufgabe zuweisen, den Gang
einer nahezu automatisch funktionierenden Maschine zu überwachen.
Solche Industrien büssen durch jede Reduktion der Arbeitszeit auch
entsprechend an der Arbeitsleistung ein. Die Folge ist, dass die
Produktionskosten steigen und damit auch der zulässige Verkaufs-
preis. Die betreffende Industrie verliert auf dem Weltmarkte die
Konkurrenzfähigkeit, so lange die übrigen Industriestaaten nicht in
gleicher Weise vorgehen.
Die Situation einer Exportindustrie kann sich noch wesentlich
verschlimmern, wenn zu den ungünstigen Produktionsbedingungen
missliche Zollverhältnisse hinzukommen. In dieser Lage befindet sich
seit Jahren die schweizerische. Baumwollspinnerei. *) Während
andere Staaten die Spindelzahl von Jahr zu Jahr vergrössern
konnten — Ungarn in den Jahren 1887—1905 um 590%, West-
falen um 300° 0 — ist die Zahl der Spindeln in der Schweiz im
gleichen Zeitraum um 10°%o zurückgegangen, obwohl der jährliche
Baumwollverbrauch enorm zugenommen hat.**) Die schweizerische
*) Vgl. Ausgewählte Schriften von Dr. Fridolin Schuler. Karlsruhe
1905. Seite 102 ff.
**) In den sechs Staatengebieten von Mitteleuropa: Deutschland, Oester-
reich-Ungarn, in der Schweiz, Belgien, Holland und Russisch-Polen ist im
Zeitraum von 1887—1905 die Spindelzahl von 10,194,446 auf 16,608,989;, der
jährliche Baumwollverbrauch von 1,842,063 auf 3,019,369 Ballen gewachsen‘
Die Schweiz ist das einzige dieser Länder, in welchem die Spindelzahl zurück-
gegangen ist: von 1,711,300 auf 1,538,452.