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Fremde des Rückgrates einer in sich gefestigten Familie, sie werden
vom platten Lande her in eine völlig fremde, ihnen unverständliche
Welt der Bildung und Gesittung gestellt, sie Hausen mit den An
gehörigen einer sozialen Klasse, die sie nicht als geistig und moralisch
ebenbürtig betrachtet und nur als körperlich Dienende einschätzt,
unter einem Dache zusammen. Die Dienstmädchen bilden daher aus
den aufgezählten sozialen Gründen einen so gewaltigen Bestandteil
unserer großstädtischen Prostitution.
Die moderne Prostitution ist im wesentlichen eine städtische Er
scheinung, die auf der massenhaften Anhäufung von Mitgliedern
der verschiedensten sozialen, namentlich der großbürgerlichen und
proletarischen Klassen an einem Orte beruht.
jS?
3. Kapitel.
Der soziale Schuldbetrag der Prostitution.
I. Vom sozialen Parasitentum der Dirnen
und ihrer Ausbeuter.
Eine großstädtische Anschlagssäulc ladet aufdringlich zu
rauschenden Ballfestlichkciten ein. Rotleuchtcndc, mit Vorhängen
versehene Fenster locken zu übermütigen Bacchusfesten mit „feschen"
Mädchen. Auf den Straßen ganze Hcercszüge aufgeputzter, ge
schminkter Halbweltdamen. In den Plüschstühlen der „Wiener
Cafes" drehen und wenden sich gefallsüchtig die älteren Jahrgänge
der Prostitution. In den Villenquartieren der Creme der Gesellschaft
steht da und dort ein pikantes Dämchen gähnend am Fenster.
Geldsummen von berauschender Größe steigen vor unseren Augen
Bei dem Anschauen all der brüchigen Halbwcltkultur unserer Groß
städte auf. Aus dem Unglück schiffbrüchiger weiblicher Wesen wächst
eine kapitalistische Wucherpflanze von wunderbarer Größe empor.
Aus wirklichen Wracks holt man noch kalifornische Goldschätze. Und
wie viele Hände und Arme strecken sich nach diesen Reichtümern aus!
Hände eleganter Hoteliers und herabgekommcner, versoffener Zu
hälter!
Das vielgehetzte Wild der Prostitution wird heute in unseren
Großstädten von Zimmervermietern, von Pfandleihern, Tanzsaal-
besitzern, von Möbelverleihern, von Oberkellnern, Zuhältern usw.
förmlich ausgeweidet. Der Staat sanktioniert das Gewerbe der
Prostitution, aber er bestraft unter Umständen den, der die Betriebs
stätte zur Ausübung der staatlich anerkannten Profession verleiht.
Aus der Gefahr, die über dem Haupte des Zimmervermieters bei
jeder Vermietung von Wohnungen an Prostituierte schwebt, leitet