Full text: Die Prostitution als soziale Klassenerscheinung und ihre sozialpolitische Bekämpfung

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verdreifacht; denn wir schätzten die geheime Prostitutionsarmee nicht 
auf 50 000 Dirnen, sondern nur auf 20 000, und wir setzten voraus, 
daß jede sich geheim prostituierende Dirne nur 1 Mark als Erlös 
aus ihrem traurigen Gewerbe erhält. Und wenn wir zu der fabel 
haften Summe von 24—36 Millionen Mark noch die Riesenausgaben 
der ausschweifenden, mit den Prostituierten übermütig tollenden 
Männerwelt für Eintrittsbillets in die luxuriösen Tanzlokalitüten, 
für geistige Getränke und Speisen fügen, dann erfassen wir die 
Prostitution als eine gewaltige, ganze Gebiete unseres wirtschaft 
lichen Lebens beherrschende Großmacht. 
Und doch können wir mit all den hier angeführten hohen 
Ziffern nicht das soziale Defizit der Prostitution abschließen. Wir 
schätzten wohl die „sündigen" Freuden, aber noch nicht die „sündigen" 
Leiden ein; wir schauten bei unseren Berechnungen wohl in die 
glänzenden Tanzsüle, aber nicht in die düsteren Krankensäle. Im 
Jahre 1899 wurden über 8000 Personen in Berlin in der Charite 
und in andere» öffentlichen Krankenhäusern an venerischen Krank 
heiten behandelt! Herr Professor Flesch berechnete in der Festschrift 
zuin 1. Kongreß der „Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten", daß der Mindestaufwand der Stadt Frank 
furt a. M. für Spitalverpflegung Geschlechtskranker, ungerechnet 
der Armenunterstützung an Angehörige usw., jährlich über 300 000 
Mark beträgt. Nur eine kleine Gruppe Geschlechtskranker wird aber 
in den Spitälern verpflegt. An einem Tage, am 1. April 1899 
standen mach der Enquete Professors Guttstedt allein 40 902 
venerische Personen in dem Königreich Preußen in ärztlicher Be 
handlung ! 
Herr Finanzrat Losch hat einmal in einem Vortrage im Jahre 
1904 die volkswirtschaftliche Bedeutung der Prostitution gewürdigt. 
Er berechnete den Aufwand für die Prostitution in Deutschland 
jährlich auf 300—500 Millionen Mark. Neben der Prostiiution 
aber geht nach Losch eine sinnlose Prasserei einher, die zum Teil 
in dem großen Alkoholverbrauch schlechtester Qualität und zu höchsten 
Preisen in zahlreichen rein parasitischen Animicrkneipen und 
„Cafes" in Erscheinung tritt. Hunderttauscnde von Mark kostete 
allein die polizeiliche Ueberwachung dieses Treibens. „Vor allem 
aber sei," so führte Finanzrat Losch nach den Mitteilungen der 
„Deutschen Gesellschaft für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" 
weiter aus, „ein steter Begleiter der Prostitution eine überaus 
schädliche Lohndrückerei. So zähle man in Berlin gegen 50 000 
käufliche Mädchen, während die Zahl der in dieser Stadt polizeilich 
angemeldeten Prostituierten kaum 5000 betrage. Für diese Mädchen 
bildet der Arbeitslohn meist nur eine Art von Nebeneinnahme. Zu 
alledem trete in letzter Linie die ungeheure Schädigung der Volks 
kraft an Leib und Seele. Man werde kaum fehlgehen, wenn man 
den für Prostitution und ihre Begleiterscheinung gemachten Auf 
wand für Deutschland jährlich mit einer Million Mark einschätzt."
	        
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