Full text: Grundfragen der englischen Volkswirtschaft

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Dr. Rudolf Leonhard. 
freiheit, der Grundlage aller mittelalterlichen Agrarverhältnisse, 
sich die bäuerliche Bevölkerung Englands allmählich zu einer nahezu 
freien Stellung emporarbeitete. Aber schon im 15. und 16. Jahr 
hundert führen große Umwälzungen auf dem Lande, nament 
lich das Aufkommen der wirtschaftlich lohnenderen Schafzucht, 
zu einer Ausdehnung des feudalen Großbetriebs, die mit weit 
gehender Vertreibung der Bauern und Einziehung ihrer Höfe ver 
knüpft ist. Nach einer Periode des Stillstandes folgt im 18. Jahr 
hundert durch das Steigen der städtischen Bevölkerung und der Ge 
treidepreise eine zweite, noch mächtigere Ausdehnung des Groß 
betriebs auf Kosten des Gemeinlands und der Bauernstellen, jetzt 
aber nicht mehr zwecks Ausdehnung der Schafzucht, sondern des 
Getreidebaues. Rein technisch war diese Ausdehnung des Groß 
betriebs gerechtfertigt, weil er im Getreidebau große Vorteile vor 
dem Kleinbetrieb hat. Großbetrieblicher Getreidebau ist also im 
18. Jahrhundert die Signatur der englischen Landwirtschaft. 
Diese Verhältnisse spitzen sich noch schärfer zu, als England 
Ende des 18. Jahrhunderts in einen 25jährigen Krieg mit Frankreich 
gerät, der in den napoleonischen Kriegen und der Kontinentalsperre 
gipfelt. Jetzt steigen durch die Absperrung vom Festland die Ge 
treidepreise in England so hoch, daß auch der schlechteste und un 
geeignetste Boden angebaut werden muß, um den Bedarf zu decken. 
Auf diese Art verschwinden die letzten Reste des bäuerlichen Klein 
betriebs, gleichzeitig wird die Viehzucht, die eigentliche Domäne des 
Kleinbetriebs, zurückgedrängt, weil bei der Höhe der Getreidepreise 
der Fleischgenuß in den breiteren Schichten des Volkes stark ab 
genommen hat. 
Mit dem Falle der napoleonischen Herrschaft 1813 fällt auch die 
Kontinentalsperre, und die englischen Getreidepreise drohen durch 
Wiederherstellung der Einfuhr herabzugehen. Dies bringt nament 
lich die Bebauer der schlechtesten Böden in wirtschaftliche Be 
drängnis, denn der jetzige Getreidepreis lohnt den Anbau nicht 
mehr. Um nun den Anbau im alten Umfang aufrecht zu erhalten, 
führt man im vermeintlichen Interesse der Landwirtschaft einen 
Schutzzoll mit gleitender Skala ein, der automatisch sich ermäßigt, 
wenn die Getreidepreise einen gewissen Punkt übersteigen. Diese 
Einrichtung bewährt sich aber absolut nicht, denn wenn die Inlands 
ernte gut ist, fallen die Preise trotz der Zölle, und die Inhaber der
	        
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