Wien 1905, Herr Professor Dr. Adolf Menzel, Herr Dr. Menzel selbst zu, daß vor allem Betriebs-
allerdings bei Vertretung unseres Reformprogrammes, krankheiten dem Unfalle gleichzustellen wären, damit
erwiesen, weshalb es sich empfehlen wird, seinen Ar- beweist er aber die Richtigkeit der von den Ver-
gumenten zu folgen. Vor allem sagt Dr. Menzel schmelzungsfreunden ins Treffen geführten Gründen,
(Protokoll, Seite 697): „Wenn hingegen eine völlige denn wer will behaupten, welche die Erwerbsfähigkeit
Verschmelzung vorgeschlagen wird, so bedeutet dies unterbindende oder beeinträchtigende Erscheinung als
mehr als eine Vereinfachung der Arbeiterversicherung, Betriebskrankheit zu gelten hat, wo bleibl aber insbe-
vielmehr verwandelt sie sich dann in eine nach Art sondere gerade bei dieser Ursache der Erwerbs-
des Armenrechtes gesstaltete Fürsorge für die arbeiten- unfähigkeit das Moment der Plötzllichkeit des Ereig-
den Klassen.“ Professor Menzel sieht wohl selbst nisses, das dessen Folgen besonders berücksichtigenswert
ein, daß diese Änderung allein kein Grund sein kann, machen soll? Einige Streiflichter zur Beurteilung der
um der Verschmelzung aus dem Wege zu gehen, indem Berufskrankheiten: (Nach der Zeitschrift „ Alkohol und
er sofort beifügt: „Gewiß spricht manches dafür, eine Krankenkassen“). „Die Berliner Ortskrankenkassa mit
solche Veränderung vorzunehmen; allein man sollte rund 370.000 Mitgliedern weist im Jahre 1901
darüber klar sein, daß es sich hier in der Tat um 40'8 Prozent Erkrankungen ihres Mitgliederstandes
cine grundlegende Neuerung handelt." Man brauchte auf; die Maurerkrankenkassa 53-1 Prozent; die Bier-
sich mit diesem Einwand wohl nicht weiter zu be- brauer und Hilfsarbeiter 54:2 Prozent, beide Kate-
schäftigen, wenn nicht der Ausdruck , Armenrecht“, gorien, Maurer und Bierbrauer, sind dem Alkohol-
der besonders für die Arbeitnehmer einen sehr odiosen genuß mehr ausgesetzt als Arbeiter, die Tags über in
Beigeschmack hat, zurückgewiesen werden müsßzte, denn einer Fabrik oder Werkstätte beschäftigt sind.“ Ist nun
Leistungen, auf die sich der Versicherte durch speziell die Folge übertriebenen Alkoholgenusses eine Betriebs-
diesem Zweck gewidmete Einzahlungen einen Anspruch krankheit? Wie soll die Tuberkulose behandelt werden,
erworben hat, können duch niemals so angesehen die bei einigen Berufen so häufig vorkommt, daß ssie
werden, als wenn sie aus der Armenpflege fließen mit Recht als Berufskrankheit bezeichnet werden kann
würden. Proletarierkrankheit).
Gegen die Verschmelzung der Invaliditäts- Endlich führt Professor Dr. Menzel aus, daß
und Unfallversicherung spricht nach Professor der schwerwiegendste Einwand der Wegfall der Karenz-
Dr. Menzel der Umstand, „daß die ökonomische zeit sei. Die Karenzzeit ist aber meines Erachtens
Gleichheit der Folgen des Betriebsunfalles und der keine soziale, sondern eine ökonomische und ver-
Invalidität nicht allein ausschlaggebend sein dürfen sicherungstechnische Erfindung, es wäre daher zu
für die Gestaltung der Entschädigung; es kommen untersuchen, ob die Karenzzeit nicht überhaupt in
auch ethische und psychologische Gesichtspunkte in Wegfall kommen kann, zumal die Verschmelzung
Betracht. Ein plötzliches unvorgesehenes Unglück zweifellos so bedeutende Ersparnisse durch Gewährung
müsse wohl nicht gleichgestellt werden den Wirkungen vorübergehender Invaliditätsrenten verursachen würde,
eines Ereignisses, welches alle Menschen gleichmäßig daß auch dicses Argument nicht weiter in die Wag-
treffe und daher nicht als besonderer Schicksalsschlag schale zu fallen braucht.
empfunden werde." Auf so subtile Unterscheidungen
soll und kann sich meiner Meinung nach die soziale Am allerwenigsten aber möchte ich den als
Jürsorge nicht einlassen, wenn anders der große Zweck schwerwiegend bezeichneten Einwand der Haftpflicht
durch kleinliche Gefühlsduselei nicht gefährdet werden auf Grund des Privatrechtes gelten lassen. Ich stimme
soll. It doch gewiß die Einwirkung eines solchen da der Ausfassung der Prager Handels- und Gewerbe-
plöglichen Ereignisses, vor dem übrigens kein Mensch tammer vollkommen bei, daß dieser Einwand, wenn er
gefeit ist, auf die Angehörigen von nichtunfall- ernst genommen werden soll, die historische Ent-
versicherungspflichtigen Angestellten kein geringerer, wicklung der Arbeiterversicherung als schweres Unrecht
wenn sich dasselbe nicht auf einen Betriebsunfall stigmatisieren und ein Fortschreiten auf der durch das
zurückführen läßt (zum Beispiel Schlagfluß, Ver- Geseß vom 18. Dezember 1887 eingeschlagenen
unglückung außerhalb des Betiiebes tc). Bahn unmöglich machen würde.
Wenn Herr Professor Menzel das für die Ver- Ganz abgesehen davon, daß in das Hafstpflicht-
schmelzung geltend gemachte Argument der Schwierig- prinzip schon dadurch eine Bresche gelegt wurde,
keit der Feststellung von Betriebsunfällen und des indem eine solche Pflicht der Behörde nicht besteht,
kausalen Zusammenhanges zwischen dem Unfalle und so ist dasselbe in der Arbeiterversicherung heute darum
der Verlegung mit dem Hinweise darauf zu wider- nicht mehr aufrecht zu erhalten, weil nur 60 Prozent
legen suchte, daß ein- konstante Praxis der Behörden des Schadens, keinesfalls aber ein Schmerzensgeld
in dieser Richtung Abhilfe zu schaffen vermag, so ist und die Behinderung des künftigen besseren Fort-
das keinesfalls eine glückliche Abwehr. Übrigens gibt kommens entschädigt wird. Die Unfallversicherung hat