138 V. Teil. Deutschland.
Lieferung entbindet. Dieser Klausel kommt nach der maßgebenden
Ansicht des Reichgerichts die gleiche rechtliche Wirkung zu wie der
eigentlichen Kriegsklausel, da der gegenwärtige Weltkrieg als „höhere
Gewalt“ im Sinne dieser Klausel anzusehen ist. Es ist also auch nach
der force majeure-Klausel der Verkäufer unbedingt und ohne weiteres
vom Vertrag frei geworden bzw. von der Einhaltung der Lieferfrist ent-
bunden, wenn infolge des Krieges der Geschäftsbetrieb des Verkäufers
wesentlich beeinträchtigt ist (das letztere wird in der Regel ohne
weiteres zu bejahen sein). Darauf, ob der Verkäufer tatsächlich noch
liefern kann, kommt es nicht an; vielmehr tritt die befreiende Wirkung
der Klausel ein, ohne daß Unmöglichkeit der Leistung für den Verkäufer
vorzuliegen braucht.
Das Reichsgericht sagt über die Bedeutung der force majeure-Klausel:
Die Klausel „Streik, Betriebsstörungen, Force majeure befreien von der Ver-
bindlichkeit rechtzeitiger Lieferung“, besagt nichts davon, daß die genannten Ereignisse
die befreiende Wirkung nur dann ausüben sollen, wenn sie die Leistung oder die recht-
zeitige Leistung unmöglich machen. Im Gegenteil ist deutlich erklärt, daß die Ver-
käuferin zu rechtzeitiger Lieferung nicht verpflichtet sein wollte, wenn ein Streik, eine
Betriebsstörung, ein Fall höherer Gewalt überhaupt eintrat. Insoweit ist die Klausel
nach dem deutlichen Wortlaute klar. Klar ist andrerseits auch, daß nur solche Streiks,
Betriebsstörungen und Ereignisse höherer Gewalt gemeint sein können, die auf den
Betrieb des Verkäufers oder solche Betriebe, von denen er für die Erfüllung des Vertrages
abhängt, wesentlich störend einwirken. Der Krieg ist ein Ereignis höherer Gewalt;
denn weder die Beklagte noch sonst ein Privatmann kann durch seine Kräfte den Aus-
bruch des Krieges oder seine Einwirkung auf das Wirtschaftsleben abwenden. Der
Ausbruch des Kriegs und die durch ihn verursachte Abschneidung des Verkehrs mit
dem feindlichen Ausland, sind also „force majeur‘‘ im Sinne der Klausel. Der Krieg hat
im vorliegenden Falle auch den Geschäftsbetrieb der Beklagten (Verkäuferin der Ware)
auf das Ernstlichste gestört. Sie hatte, um die Erfüllung ihrer im ganzen reichlich 210
Tonnen betragenden Verkäufe (es handelt sich um Metall, Antimon-Regulus) zu sichern,
in Deutschland nur ein Lager von etwa 12 Tonnen. Daneben hatte sie aber an ver-
schiedenen Plätzen des Auslandes Lager und vor allem größere Abschlüsse mit mehreren
französischen Häusern und einer japanischen Firma. Zu den französischen Abschlüssen
gehörten 10 Tonnen, die sie für die Klägerin bestimmt hatte. Alle diese von der Be-
klagten zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten getroffenen Vorbereitungen sind durch
den Krieg vereitelt; denn sie hatte keinerlei Ware aus dem Ausland erhalten können.
Die Beklagte ist also durch den unter den Begriff der höheren Gewalt fallenden
Krieg in ihrem Geschäftsbetriebe auf das Ernstlichste betroffen. Sie ist daher auf Grund
der Klausel für die Dauer der kriegerischen Hindernisse von der Pflicht zur Lieferung
frei (Aktenzeichen: II. 40/16. — 14. 4. 16.)‘“1)
Obgleich danach der Krieg als „höhere Gewalt“ von der Pflicht
zur Vertragserfüllung befreit, wird auch in Deutschland noch eine be-
sondere Verordnung des Bundesrates verlangt?) des Inhalts
„daß vor Kriegsausbruch abgeschlossene Verträge deutscher Staatsangehöriger
mit Untertanen des feindlichen Staatenverbandes auf Antrag des deutschen
1) Frankfurter Zeitung, 26. Juli 1916.
2) Siehe „Deutscher Außenhandel‘, Zeitschr. des Handelsvertragsvereins, 20. Juni _
1916, S. 122.