V. Überstaatliche Bindungen des Ichs
schule etwa beseitigt ? Kann denn der Staat von heute es über-
haupt noch dulden, daß der gesamte Unterricht so erteilt werde, wie
es dem Bedürfnis einer Religionsgemeinschaft entspricht? Lehnen
nicht gerade deshalb sogar Anhänger der „,,Bekenntnisschule‘“ die
geistliche Schulaufsicht ab? Endlich: Ist es überhaupt Aufgabe
der Schule, Widersprüche zu überkleistern, die im Leben
der Volksgemeinschaft nun einmal vorhanden sind und
die das einzelne Ich sein ganzes Leben hindurch begleiten
werden, es mag ihm lieb sein oder leid ?
Die Frage ist längst nicht mehr, wie man die tatsächlich vor-
handenen Widersprüche im Schulunterricht verkleistert und ver-
schleiert; die Frage kann nur mehr sein, ob man die tatsächlich vor-
handenen Widersprüche noch dadurch vertiefen und verschärfen soll,
daß man die Schule als Ganzes konfessionell abstempelt. Wer diese
Frage entschlossen verneint, der beantwortet sie zugleich mit der
Forderung, den Unterricht, troß der vorhandenen Widersprüche,
so zu gestalten, daß vor allem der Staat den größtmöglichen
Nutzen davon habe. Also nicht Zugeständnisse des Staates an die
Kirchen, sondern Unterordnung des kirchlichen Bedürfnisses unter
das staatliche.
Damit müssen sich die Religionsgemeinschaften, sofern ihnen auch
in der Schule angemessener Raum zur Betätigung verbleibt, ab-
finden können, denn der Staat hat sich auf dieser mangelhaften
Erde durchzusetzen, die der Widersprüche voll und übervoll ist. Die
Religionsgemeinschaften dagegen arbeiten für jene Welt, worin sich
alle Widersprüche schließlich auch ohne unser Zutun lösen.
Im Kriege konnte man’s erleben, wie dicht hinter der Front
Soldaten den mit einfachsten Mitteln, aber sichtlich mit Liebe ge-
schmückten Raum zeigten, worin gemeinschaftlicher Gottesdienst
abgehalten wurde, wie sie mit mühsam verhaltener Erregung davon
erzählten, wie schön das gewesen sei ~ ,,da stand der katholische,
da stand der evangelische Priester“. Wer das nicht nur hat er-
zählen hören, wem die Erzählung auf fremdem, umstrittenem Boden
zum Erlebnis ward, der weiß, wie tief im deutschen Volke die
Sehnsucht nach konfessionellem Frieden, nach kirchlichem Ausgleich
brennt. Der weiß aber auch, wie schandbar sich die am deutschen
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