zustrebe. Er warf sich nach links einer zugleich nationalistischen, sozialisti-
schen und revolutionären Bewegung zu. Nach dem Jahre 1921 wurde er sich
der bestehenden Neigung zur Reaktion bewußt. Nun warf er sich noch
ungestümer nach rechts. Seine Ideen sind belanglos, denn sie passen sich
seinen jeweiligen Handlungen erst nachträglich an. Das Programm, das Mus-
solini 1919 für den Fascismus entworfen hat, ermöglichte den Beitritt einer
großen Zahl fortschrittlicher Elemente. Es ist die vollkommene Verneinung
dessen, was der Fascismus später ausgeführt hat, und wer heute in Italien das
fascistische Gründungsprogramm von 1919 aufrecht erhalten wollte, wäre
den furchtbarsten Strafen ausgesetzt. Ebenso werden die künftigen Hand-
lungen des Fascismus auch die Verneinung seiner heutigen sein können. Durch
Mussolini selbst könnte der Fascismus zum revolutionären Sozialismus zu-
rückkehren.
Man hat im Auslande wiederholt behauptet, daß der Fascismus Italien von
der Revolution errettete, daß er die Streiks abgebrochen und das staatliche
Finanzwesen wieder hergestellt habe. Wohl hat der Fascismus seit 1923
Ordnung geschaffen, wenn auch mit Gewalt, aber man muß doch feststellen :
1. Es ist nicht wahr, daß Italien von irgend einer Revolution errettet worden
sei. In allen Ländern, die am Krieg beteiligt waren, vor allem in Deutschland
und in Italien, hat es eine Zeit revolutionärer Bewegungen während der
Jahre 1919/20 gegeben, auch in Frankreich, in Belgien und in England.
Damals verband sich der Fascismus mit den revolutionären Elementen im
Glauben an die demokratische Hypertrophie. Italien ist das einzige euro-
päische Land, dessen Geschichte keine wirkliche Revolution aufweist: es ist
nicht das Verdienst des Fascismus, es davor bewahrt zu haben.
2. Es ist nicht wahr, daß die Streiks durch den Fascismus beendet wurden.
Überall in Europa entstanden in den Jahren 1919 bis 1921 Streiks. In Italien
erreichten sie den Höhepunkt unter dem Ministerium Orlando (Mai bis Juni
1919), und sie blieben auch 1920 zahlreich, sogar mit Hilfe des Fas-
cismus. Dann nahmen sie rasch ab, und als der Fascismus zur Regierung
gekommen war, waren die Streiks fast überall beendet, auch in den staat-
lichen Betrieben.
3. Es ist nicht wahr, daß der Fascismus aus eigener Kraft ein Werk finan-
zieller Sanierung vollbracht habe. Es waren die Ministerien Nitti und Giolitti
(1919—1921), welche durch Auflage hoher Steuern und durch die größte
Sparsamkeit die Ordnung der Finanzen vorbereiteten. Die finanziellen Maß-
nahmen des Fascismus waren im Gegenteil oft schädlich und begünstigten
die plutokratischen Schichten. Während man die Weinsteuer abschaffte und
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