Full text: Bolschewismus, Fascismus und Demokratie

mit seiner Macht vom Senat selbst bekleidet, wir würden sagen, vom Par- 
lament. Er übernahm das Amt der Konsulen, d.h. die ausübende Gewalt. 
Seine Würde erhielt er zu einem bestimmten Zweck, zur Lösung von Schwie- 
rigkeiten, vor allem in Kriegszeit oder bei einem die Einheit der Republik 
bedrohenden Zwiespalt zwischen Senat und Komitien. Der Auftrag dauerte 
stillschweigend eine gewisse Frist, zuweilen wenige Tage oder Wochen, doch 
niemals länger als sechs Monate. Dies war ein nützliches und praktisches 
Mittel zur Überwindung von Krisen der Demokratie, welches der Würde und 
Kraft der freien Verfassung keinen Abbruch tat. 
Die modernen Parlamente haben oft im Falle der Not die gesetzgebende 
Gewalt der Regierung übertragen, aber stets nur für kurze Zeit und bestimmte 
Zwecke. Aber dies hat nichts gemein mit einer staatserobernden Diktatur 
eines Einzelnen, einer Partei oder eines Einzelnen im Dienste der Partei, ja 
was noch schlimmer ist, einer Partei im Dienste eines Einzelnen. 
Der Sozialismus ist die Tendenz zur äußersten Demokratie und bedeutet 
das Ideal einer Gesellschaft ohne Vorrecht der Geburt und sozialen Stellung. 
Jede fortgeschrittene Gesellschaft hatte und hat ihre Form des Sozialismus. 
Das Problem, allen Menschen den gleichen Ausgangspunkt für den Kampf 
ums Leben und dieselbe Möglichkeit der Entwicklung aller ihrer Fähigkeiten 
zu verschaffen, hat edle Geister immer angezogen. Die Idee, die Arbeit jedes 
Menschen könne das Ergebnis seiner Anstrengungen und nicht das der Ge- 
burt, des Zufalls, der Vorrechte sein, ist so erhaben, daß sie jeden nicht ge- 
meinen Geist anzieht und beschäftigt. Das größte Hindernis für das Werk 
des Sozialismus bleibt immer die Gefahr, daß die Form der sozialen Zu- 
sammenarbeit die Produktionskraft schwäche. Aber wenn wir, Liberale und 
Demokraten, auch nicht an die Formeln des Sozialismus und vor allem an 
den Klassenkampf glauben und mit der Taktik der sozialistischen Parteien 
nicht einverstanden sind, müssen wir doch zugeben, daß der Sozialismus in 
den verschiedensten Formen das ganze soziale Leben der fortgeschrittenen 
Gesellschaften durchdringt. Ohne es zu wollen, akzeptieren wir immer etwas 
von ihm. Auch wenn wir ihn ablehnen, eignen wir uns die Grundsätze der 
sozialen Solidarität an. Das tiefe Eindringen des Sozialismus als mora- 
lisches Prinzip und als Grundlage der sozialen Tätigkeit vollzieht sich täglich 
unaufhaltsam. Die Theorien von Marx sind eine nach der andern gefallen, 
aber die Arbeiterbewegung hat das gesamte moderne Leben durchdrungen. 
Es sind nicht die Pläne der anerkannten Theoretiker des Sozialismus, sondern 
die Forderungen des sozialen Lebens, denen wir nachgeben müssen. Viele 
Ideen und Reformen, die noch vor zwanzig Jahren für utopisch gehalten 
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