Full text: Bolschewismus, Fascismus und Demokratie

Wenn in wirtschaftlicher Hinsicht die Freiheit allein eine große Entwick- 
lung der Produktion ermöglicht, so ermöglicht auch in politischer Hinsicht 
nur sie dauernden Fortschritt und sichert nur sie die Lebenskräfte jeder 
Nation. Aber die konservativen Parteien und oft auch die Reformparteien wie 
der Sozialismus haben keine deutliche Vorstellung von dieser Wahrheit. Die 
Freiheit muß sich in der Tat gegen die Gegenkräfte verteidigen; diese sind 
nicht nur die Kräfte der Reaktion, wie in der Vergangenheit, sondern oft auch 
die der äußersten Demokratie, also des Sozialismus. Reaktion und Sozialismus 
bedeuten sehr oft dieselbe Gefahr für die Freiheit. Der Sozialismus verlangt 
Freiheit für seine Entwicklung, aber er neigt, wenn er die Kraft dazu hat, 
zur proletarischen Diktatur. Sozialismus und Reaktion sind also dieselbe Ge- 
fahr für die Freiheit, auch weil die Übertreibungen des Sozialismus zur 
Reaktion treiben oder mindestens die Seelen dazu vorbereiten, indem sie den 
Staat schwächen und oft die wesentlichsten ökonomischen Organisationen 
bedrohen. Man erklärt es aus den Fehlern des Sozialismus, daß beim Auf- 
treten eines Diktators die Haltlosen, die Zaghaften und solche, die das, Schäd- 
liche einer Reaktion nicht. sehen, widerstandslos Folge leisten. 
In der jetzigen Geschichtsepoche erklärt sich auch leicht genug die libe- 
rale Krise vieler Länder, wie das Ende der überlieferten Parteiformen: der 
Liberalen (in allen Graden, bis zu den Demokraten und Radikalen) und der 
Konservativen. Es ist auch leicht erklärlich, daß große konservative Parteien 
sich manchmal auf reaktionärer und große demokratische Parteien auf so- 
zialistischer Grundlage bilden. 
In den letzten Jahren ist eine Veränderung eingetreten, deren Wirkung 
zweifellos groß sein wird. Einerseits bedeutet der Sozialismus, der in fast 
‚allen Ländern, trotz vieler Schwierigkeiten, Regierungspartei geworden ist, 
nicht mehr ein völliges Verleugnen der heutigen Wirtschaftspolitik, sondern 
nur eine Anschauung, eine Tendenz, die Grundsätze der Kooperation und der 
‚sozialen Solidarität für die engen Grundsätze des liberalen Individualismus 
‚einzusetzen. Andererseits erhalten die großen Arbeiter-Oganisationen fast 
überall immer mehr einen gewerkschaftlichen Charakter und streben faktisch 
nach einer Trennung vom Sozialismus, obwohl sie immer in Beziehungen 
mit ihm bleiben und oft an seiner Entwicklung teilnehmen. Viele liberale 
Schriftsteller, unter ihnen auch der größte, J. Stuart Mill, hatten geahnt, daß 
die liberalen Lehren mit der Entwicklung der sozialen Kooperation zu+ 
sammentreffen würden, und daß der Staat seine Aufgabe nicht nur auf Ver- 
teidigung und Sicherheitsmaßnahmen beschränken dürfe. 
Nachdem der Kommunismus den Platz des alten Sozialismus eingenommen 
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