öffentliche Moral noch eine ehrliche Finanzgebahrung, keinen wirtschaft-
lichen Fortschritt. Es gibt allerdings auch manche lähmenden und erdrücken-
den Widerstände; aber dennoch ist ohne Parlamente und ohne Pressefreiheit
kein Fortschritt in der öffentlichen Moral und keine Hebung der modernen
Gesellschaft denkbar. Kein vernünftiger Mensch wird die Fehler und die Irr-
tümer der Parlamente übersehen. Aber keiner von denen, die sie kritisieren,
weiß Besseres vorzuschlagen. Etwa die absolute Verfassung der früheren
Monarchien? Die frühere Staatsform Deutschlands oder Österreich-Ungarns?
Die weiße Diktatur des Fascismus oder die rote Diktatur des Bolschewismus?
Die absolute Macht von Gottes Gnaden (non est potestas nisı a Deo) war
ehrfurchtgebietend, weil die Menschen oder doch die meisten von ihnen im
guten Glauben waren,daß der Herrscher von Gott selbst mit dem Regierungs-
amt. begnadet worden sei. Aber in den modernen Ländern, wo das Volk der
politischen Macht keine religiöse Grundlage mehr zuerkennt und wo jene
Ehrfurcht nicht mehr vorhanden ist, die die wirkliche Grundlage der Monar-
chien bildete, ist es allein die Gewalt, welche einer autokratischen Herrschaft
Dauer geben kann, die Gewalt, die keine moralische oder religiöse Veranke-
rung besitzt und daher keine Dauer hat.
Im Gegenteil sichert nur die parlamentarische Verfassung die liberalen
Einrichtungen und nur die liberalen Einrichtungen sichern die Entwicklung
des normalen Lebens der zivilisierten Völker.
Häufig hört und liest man von unbestimmten Hoffnungen auf die Rück-
kehr der früheren Staatsformen. Aber, wenn auch monarchistische Neu-
bildungen mit geeigneten Männern möglich wären, ist eine autokratische
Verfassung denkbar? Was wäre ein Louis XIV., ein Friedrich II., ein Napo-
leon in den heutigen großen Staaten Europas? Abgesehen davon, daß sie
Ursache zu ungeheuerer Verwirrung wären, würden sie früher oder später ihr
Land zum Untergang führen. Denn heute — und dies ist die Wahrheit, die
man nie vergessen sollte und deshalb nicht oft genug wiederholen kann —
erlaubt die riesenhafte Entwicklung der modernen Staaten, was Bevölkerung,
Reichtum, Industrie, Konzerne, Handel und Presse betrifft, keine große und
dauernde individuelle Tätigkeit mehr.
Was war das Frankreich Ludwigs XIV. in seiner Glanzzeit? Es zählte
kaum mehr als ein Drittel‘der heutigen Bevölkerung. Im Jahre 1648 über-
stieg das Budget des Staates nicht hundertvierundachtzig Millionen. Das Heer
war nur ein sehr kleiner Teil der heutigen Heere, Es gab keine großen öffent-
lichen Unternehmungen, keine Handelsgesellschaften, keine mächtigen Ge-
werkschaften.
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