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Finanzwirtschaft.
päischer Seemächte entstanden, auch als selbständige Länder
hinter der Stellung ihrer Mutterländer im Kulturkreise nicht
zurückbleiben wollten und sich deshalb mit den äußeren
Formen alter politischer Staatengebilde umgaben, zu deren
Annahme sie ihre innere Entwickelung im Augenblicke ihres
Selbständigwerdens in keiner Weise berechtigte und zu deren
Aufrechterhaltung ihnen die finanzielle Leistungsfähigkeit
fehlte. Hatten die europäischen Mutterländer es in ihrer
Ausbeutungssucht nicht für nötig gehalten, den Kolonien zur
Nutzbarmachung ihrer‘ natürlichen Reichtümer eine feste
wirtschaftliche Grundlage zu geben, so trat an die selb-
ständig gewordenen jungen Staaten plötzlich die Pflicht
heran, aus dem Nichts lebensfähige Staatswesen zu schaffen,
die ihre finanzielle Kraft aus dem Lande. selbst schöpfen
konnten. Daß aber hierzu weder die Bevölkerung eine
leistungsfähige Geldquelle bildete, noch bei den leitenden
Persönlichkeiten Verständnis und guter Wille vorhanden war,
ist schon mehrfach gezeigt worden. Trotzdem mußte Geld
für die Aufgaben des Staates geschaffen werden, und so
folgten sich nach und nach die verhängnisvollen Maßregeln,
an deren Folgen die Länder alle noch in verschiedenem
Maße leiden; auswärtige Anleihen und Staatsverschuldung,
drückende Steuern, Geldentwertung und hohe Zölle, die aber
nur das eine Ergebnis hatten, daß die Regierungen mit Mühe
ihre Schuldverpflichtungen nach außen erfüllen und die not-
wendigsten Ausgaben für den eigenen Bedarf bestreiten,
nicht aber für die kulturelle Hebung der Länder irgend etwas
tun konnten./ Auch fehlten hier die den. alten Kulturstaaten
für die Deckung eines Teiles ihres Bedarfs zur Verfügung
stehenden‘ Quellen für die Erwerbseinkünfte, wie Forsten,
Domänen, Bergwerke; ebenso konnten die gewinnbringenden
Transportanstalten nicht von den Regierungen eingerichtet
Oder übernommen werden und nirgends war ein Mittel,
auch nur einen kleinen Teil des Geldbedaris für den Staat
anders als vom Auslande oder von der wenig leistungs-
fähigen Bevölkerung zu bekommen.
Der Aufnahme auswärtiger Anleihen stand und steht
die geringe Kreditfähigkeit, deren sich diese Länder auf dem
internationalen Geldmarkt erfreuen, hindernd im Wege. Der
Kredit") eines Staates ist abhängig von dessen Zahlungs-
fähigkeit und dem guten. Willen, die eingegangenen Ver-
bindlichkeiten einzulösen. Die Zahlu ngsfähigkeit beruht
') Vgl. v. Eheberg: Finanzwirtschaft. S. 429/30.