Full text: Die Gesellschaftswissenschaft

logisch; aber in Geschichte und Politik ist die absolute Logik 
ein Ding von sehr zweifelhaftem Werte. 
4. STÄMME, RASSEN, NATIONEN. 
Die Erscheinungen, welche das Zusammenleben verschiedener 
Stämme oder Rassen in einem Lande hervorruft, rechnet Mohl 
zu den gesellschaftlichen Gestaltungen, welche den Staat zwar 
vielfach berühren, doch ihrem Wesen nach ihm fremd sind. Ich 
meine, an solche Verhältnisse knüpfen sich zwei scharf zu trennende 
Folgen, Kulturfragen und Machtfragen. Wie sich die Rassen nach 
Abstammung, Sprache, Charakter unterscheiden, wie der Geist 
eines Stammes durch Berührung mit andern verändert wird oder 
erstarrt: diese Tatsache hat sich der Staatsgelehrte vom Historiker, 
Philologen, Ethnographen erklären zu lassen. Er muß sie kennen, 
nicht bloß weil jede bedeutende Kulturerscheinung notwendig 
nach Umgestaltung der politischen Verhältnisse drängt, sondern 
auch weil diese Erscheinungen des geistigen Lebens überraschende 
Erklärungen und Analogien bieten für politische Fragen, weil das 
Recht des unterdrückten Stammes in ganz ähnlicher Weise von 
dem Sieger umgestaltet wird wie seine Sprache: der eigentliche 
Kern des Rechts bleibt, wie der der Wörter, noch lange unverändert, 
während sein formeller Teil schon früh verwandelt wird!). Wie 
aber das Zusammenleben der Stämme auf ihre Machtverhältnisse 
wirkt, wie hier der eine Stamm sich der Staatsgewalt bemächtigt, 
um den andern zu knechten, dort beide lose verbunden neben- 
einander hinleben usf. dies begründet die verschiedene Natur der 
Staaten; dies darzustellen ist eine der reizvollsten Aufgaben der 
Staatswissenschaft. Jede historische Nation strebt in der Zeit 
ihrer Kraft danach, sich selbständig politisch zu gestalten; 
jeder Staat sucht die ihm zugehörigen Stämme mit einem poli- 
tischen Gesamtbewußtsein zu durchdringen?). Ob nun ein poli- 
tisches Volk zugleich historische Nation ist, und welche Konflikte 
!) Vgl. die tiefsinnigen Worte J. Grimms in der Einleitung zu den 
deutschen Rechtsaltertümern. 
?) Stein, Die Gesellschaftslehre S. 33, nennt diese Tatsache, wohl 
nicht ganz klar, das Gesetz des staatbildenden Volkes und des volk- 
bildenden Staates. 
G
	        
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