Professor Alfons Goldschmidt. ;9
beutung der Arbeitskraft der unterdrückten und halbunterdrückten Völker,
nicht geringer ist als die frühere Kolonisierung.
Ich sagte vorhin, schon im Altertum haben sich die sozialen, d.h. die
eigentlichen produktiven Kräfte, meistens die Bauernkräfte und die Kräfte,
die die Freiheit der Nation wollten, in ihren Ländern vereinigt zum Kampf
gegen den damaligen Imperialismus. Diese Vereinigungen finden wir in der
ganzen Geschichte der Kolonisierung dieser Erde, und wir finden diese Ver-
einigung auch in Europa in den Kämpfen um die Entlastung vom Druck
der Innenkolonisierung, beispielsweise des Feudalsystems, das die Franzö-
sische Revolution beseitigte. Als die Bauern in Frankreich, zusammen mit
den Arbeitern und Kleinbürgern der Städte aufstanden, da war es nicht nur
ein sozialer Freiheitskampf, sondern auch ein Kampf um die Selbständig-
keit der französischen Nation gegen England. Und auch damals schon sehen
wir, was wir heute wieder erleben, die Beschimpfung und Verleumdung
dieser produktiven und freiheitlichen Kräfte, als aus Königsmund das Wort
fiel, die Bauernschaft des revolutionären Frankreichs sei eine Horde von
Banditen. — Als sich die Vereinigten Staaten gegen England erhoben, und
als Monroe im Jahre 1823 seine berühmte Botschaft erließ, da war diese
Botschaft noch getränkt vom revolutionären Geiste der Vereinigten Staaten,
der heute nicht mehr vorhanden ist. Damals erkannte man noch die Freiheit
aller amerikanischen Länder aus dem Herzen an, und es war noch nicht so,
wie zur Zeit des Amtsantritts Wilsons im Jahre 1913, als er die Monroe-
Doktrin erweiterte und nochmals diese Ideologie betonte, ohne daß sie einen
praktischen Untergrund hatte. Denn 1913 hatte sich das Kapital der Ver-
einigten Staaten mitsamt den Machtmitteln des Nordamerikanischen Staates
schon auf dem ganzen amerikanischen Kontinent mehr oder weniger verankert.
Als im Jahre 1810 Hidalgo in Mexiko die Indiobauern anführte mit dem
Ruf: „Viva la Madona de Guadalupe y mueran los gachupines““ („Es lebe die
Madonna von Guadalupe, und es sterben die Spanier, die uns unterdrücken!“‘).
da erließ er ein Dekret, das den Latifundisten den Acker nahm und ihn
den Indios zurückgeben wollte, das aber zu gleicher Zeit ein nationales Dekret
war, um die freie Arbeit in einem freien Mexiko gedeihen zu lassen. — All
die Erhebungen des amerikanischen Kontinents, die zentrale Erhebung Boli-
vars, die Erhebung San Martins und die Nebenerhebungen waren soziale und
nationale Aufstände. Es waren Völker, die erst ihre Grenzen suchen mußten,
Grenzen, die Alexander VI. mit einem Federstrich vom päpstlichen Stuhl
aus ihnen zugeteilt hatte. Diese Völker wollten in sich unabhängig sein, um
ihre Probleme, ihre Gegensätze gegeneinander auszugleichen. Das war eine
wunderbare Freiheitsbewegung in jener Zeit, und, da sie fern liegt, so wird
sie auch von der imperialistischen Presse heute gefeiert. Es gibt wohl kaum
ein großes imperialistisches Blatt der Welt, das die Französische Revolution
nicht als einen Fortschritt anerkennt. Aber wenn heute in einem Lande der
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