soviel Grenzinstinkt und Grenzbewußtsein, die ich an fremden
Völkern wahrgenommen hatte —, im Spätherbst 1918, als
Führer einer Reservedivision aus den Trümmern der Reichs-
marken landeinwärts ziehend, die ganze Instinktlosigkeit in
Grenzfragen des sonst so hochbegabten eigenen Volkes erfuhr,
sein blindes Vertrauen in feindliche Grenzphraseologie kennen-
lernte, seine Selbsttäuschung über die Tatsachen des unaus-
gesetzten Grenzkampfes um Lebensraum auf der Erde schmerz-
haft mit durchlebte, — da schuf die eigene innere Not und die
vorausgesehene, kommende meines Volkes Antrieb und Plan zu
dieser Arbeit.
Was den Führern Jungchinas selbstverständlich scheint, von
den großen Raubkonzernen der Welt, die sich 1914—1918 neue,
vorteilhaftere Grenzen errafft hatten, mit grimmiger Ironie zu
sagen: „Nachdem sie die Welt beraubt hatten, geboten sie der
Welt, dem Rauben Einhalt zu tun“ — das ist der Mehrheit der
Völker Mitteleuropas heute noch nicht klar geworden. Im
Gegenteil sah der europäische Teil der um ihre Grenzen ge-
prellten Kulturvölker der Mitte vielfach in dem ungeheuerlichen
Raub und der Verstümmelung des eigenen Volksbodens in echt
deutscher Selbstpeinigung einen Schritt zur künftigen, ge-
rechteren Lösung aller Grenzfragen der Menschheit. Ein Blick
in unsere fleißig zusammengetragenen, gründlichen Enzyklo-
pädien, wie in unser Grenzschriftwerk vor dem Kriege zeigt
uns auch, wieso diese Verkehrung nationalen Lebensinstinkts
eintreten konnte. Schlagen wir irgendwo in unseren dicken
Bänden das Wort „Grenze“ auf, so finden wir zuerst mathe-
matische und philosophische Auffassungen in breiter Ausführ-
lichkeit abgehandelt, lange vor den geographischen und poli-
tischen Wertungen. Die Tatsache, daß Grenze und Staatsumzug
vor allem ein umspannendes Organ politischer, wirtschaftlicher
und kultureller Lebensmöglichkeit ist, was z. B. die „Encyclo-
paedia britannica“ so scharf betont, wird in den meisten mittel-
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