Strukturwandlungen der Weltwirtschaft
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die Oberschichten beschränkte*. Erst neuerdings ist das japanische Volk
allgemeiner zur europäischen Tracht übergegangen. Die Wirkung auf
den internationalen Markt ist erstaunlich: australische Wolle geht heute
zu erheblich größerem Teil als in der Vorkriegszeit nach Japan. Die
Ausfuhr von Kammgarn aus Deutschland nach Japan ist niemals so
groß gewesen wie in den letzten Jahren. Der vermehrte Bezug Japans
von Wolle und Kammgarn wird mit gesteigerter Seidenausfuhr nach den
Vereinigten Staaten bezahlt, wobei Japan bilanzmäßig einen beträcht-
lichen Gewinn macht. In den Vereinigten Staaten hat sich auch insofern
ein Trachtenwandel vollzogen, als die Frauenwelt dort radikaler denn in
andern Ländern zum Seidenstoff übergegangen ist. Man müßte nun
annehmen, daß sich dies in dem Verbrauch von Baumwolle in Amerika
äußerte. In Wirklichkeit ist das natürlich auch der Fall, doch kommt es
ohne weiteres nicht zum Ausdruck. Der Anteil des Eigenverbrauchs an
der erzeugten Baumwolle betrug in den Jahren 1910/15: 40 %, in den
Jahren 1920/24: 54 °%. Zum Teil ist dies darauf zurückzuführen, daß
die Zugewanderten sich nicht sofort in Seide einhüllen können. Der
Hauptgrund aber liegt darin, daß ein ständig wachsender Anteil der
amerikanischen Baumwollproduktion in der Automobilreifenindustrie
Verwendung findet. Man hat ausgerechnet — mutmaßlich ein wenig
übertrieben —, daß diesen Zwecken heute schon (je nach der Konjunktur)
5—10 % der gesamten Baumwollproduktion Amerikas dienen.
Übrigens steht der folgenschwerste Trachtenwandel in der Welt noch
bevor. Wenn demnächst — es ist dies, nachdem der Anfang bereits ge-
macht ist, nur eine Frage der Zeit — die vierhundert Millionen Chinesen
dazu übergehen, ihre blauen Leinen- oder Baumwollkittel (und die Ober-
Schicht die seidenen Gewänder) auszuziehen und europäische Kleidung an-
zulegen, so würde dies von überhaupt nicht abzusehender Rückwirkung
Sein: einerseits auf die Textilindustrie, anderseits auf die Industrie künst-
lichen Indigos, die ihr Absatzgebiet in Ostasien hat. Dabei würde es für
die weltwirtschaftliche Auswirkung von nur sekundärer Bedeutung sein,
ob die Chinesen die Stoffe für die europäische Tracht im eigenen Lande
herstellten oder aus dem Auslande bezögen. Zu weitreichenden neuen
weltwirtschaftlichen Verflechtungen käme es unter allen Umständen.
* Unmittelbar nach dem Vortrag wurde ich von »Japankennern« darauf aufmerksam
gemacht (es war offenbar das Wichtigste aus meinem ganzen Vortrag), daß die Japaner
einen Zopf überhaupt nicht getragen hätten. Das haben sie in der Tat nicht. Dennoch
War es eine Zopfzeit, in der die Samurai lebten. Überdies war der Übergang von der
gewellten Haartracht zum kurzgeschnittenen Haar in europäischem Stil für das Problem
der Kopfbedeckung (eben darauf kommt es in diesem Zusammenhang an) von grund-
legender Bedeutung, denn auf die neue männliche Haarfrisur paßte nur der euro-
Päische Hut!