Full text: Sozialpolitik in Österreich 1919 bis 1923

die Leistungsfähigkeit der in Arbeit Stehenden. Mit dem Einsetzen 
der wirtschaftlichen Depression, dem Abbau der Arbeiter- und— 
Angestellten und der immer mehr um sich greifenden Kurzarbeil 
geriet dieses Gesetz in eine äußerst bedrängte Situation. Bei aller 
Opferwilligkeit zu einer weiteren Erhöhung der Versicherungs, 
beiträge zwecks Erhöhung der Unterstützung konnte die in den 
faktischen Lebensverhältnissen begründete Schranke nicht' geleugnet 
werden. Dazu kam noch der heftige Widerstand der Unternehmer 
und das Bestreben des Staates zur Abwälzung seines Kosten— 
beitrages. Anderseits zeitigte die Kurzarbeit auch Lohnverhältnisse, 
die sich der Arbeitslosenunterstützung nicht nur bedenklich näherten, 
sondern derselben, insbesondere bei den weiblichen Berufen, vielfach 
zleichkamen. Es ist hier nicht der Ort zu einer eingehenden Be— 
leuchtung dieser Fragen, um so weniger, als die Regelung der 
Arbeitslosenunterstützung in zahllosen Konferenzen erörtert wurde. 
Wir beschränken uns daher auf die Feststellung, daß nach der 
höchsten Lohnklasse der XVII. Novelle zum Krankenversicherungs— 
gesetz vom 8. Februar 1923 die Arbeitslosenunterstützung für Fami— 
lienerhalter 87.360 Kr. und für die Ledigen 65.520 Kr. pro Woche 
betrug. Wenngleich das Gesetz vom 7. Dezember 1922 jenen Arbeits— 
losen, die für ihre Wohnung einen Mietzins zu entrichten haben, 
in jedem Kalendermonat einen Zuschuß in der Höhe des täglichen 
Unterstützungsbeitrages zubilligte und die VI. Novelle den Kurz— 
arbeitern eine dreitägige Karenzfrist einräumte, so erschien alles 
zusammen nur als ein Minimum zur Fortfristung der notdürf— 
tigsten Lebenshaltung. Für die Gewerkschaften stand immer fest, 
daß das harte Los der unfreiwillig Feiernden gemildert werden 
müsse. Dieser Erkenntnis sind die bereits erwähnten vielfachen 
Maßnahmen zu verdanken. Im Einvernehmen mit den inzwischen 
an Stelle des verantwortungslosen Zentralarbeitslosenkomitees 
geschaffenen Vertrauensmännerausschüssen der Arbeitslosen wurden 
die Forderungen der Gewerkschaften zuletzt in einem JInitiativ— 
antrag zusammengefaßt und im März dem Nationalrat überreicht. 
Demzufolge sollte die Unterstützung für Familienerhalter auf 
100.800 Kr., für Ledige auf 75.600 Kr. erhöht werden. Selbst diese 
bescheidenen Forderungen stießen auf einen so hartnäckigen Wider— 
stand der Regierungsparteien, daß nur das Mittel der Obstruktion 
gelegentlich der Budgetberatung die Herrschaften einigermaßen zur 
Räson brachte. Nach mancherlei Fährlichkeiten kam endlich die 
VIII. Novelle vom 28. April 1023 zustande, derzufolge die Unter— 
stützung für Familienerhalter sowie für Ledige, die nicht im 
Familienverband leben, 110 Prozent, für alle übrigen Arbeitslosen 
fünf Sechstel des Krankengeldes beträgt. Damit war die Einhebung 
eines Zuschlages zu den Beiträgen verbunden, welcher mit 20 Pro— 
zent des Normalbeitrages zur Krankenversicherung festgesetzt wurde. 
Mit Rücksicht darauf. das 29. April die seinerzeit eingeführte 
am
	        
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