BILDENDE KÜNSTE
Von A. F. Seligmann.
Der Chronist, der sich vorgenommen hat, die
Entwicklung des Kunstlebens in Oesterreich während
des. eben vergangenen Dezenniums zu schildern, wird
mit gemischten Gefühlen an diese Aufgabe heran-
gehen. Heute, zehn Jahre nach der offiziellen Be-
endigung des Krieges, die ja in Wahrheit gar keine
Beendigung war — entpuppte sich doch dieser so-
genannte Frieden nur als eine Fortsetzung des
Krieges mit anderen Mitteln! — heute also, zehn
Jahre nach dem Traktat von St. Germain sind die
Zustände noch so, daß von den schaffenden Künst-
lern unseres Rumpfländchens nur ganz wenige mit
der Ausübung ihrer Kunst im eigentlichen Sinne
ihren Lebensunterhalt erwerben können; fast alle
sind genötigt, durch kunstgewerbliche Arbeiten, zu-
meist im Dienst des Reklame, durch Hlustrieren von
Zeitungen oder Witzblättern, durch Kopieren, Re-
staurieren, durch Erteilen von. Unterricht oder Abhal-
sung von Vorträgen, durch Schriftstellerei und. der-
gleichen mehr, sich über Wasser zu halten. Hat
so die wirtschaftliche Lage unserer Künstler sich
gegenüber der Kriegs- und Inflationszeit eher ver-
schlechtert, so ist dagegen der äußerliche Betrieb
wieder nahezu auf der Höhe angelangt, wie vor
dem Kriege, ja, er ist in mancher Hinsicht sogar
gewachsen. Vor allem haben sich dadurch, daß der
Staat, den gesamten Kunstbesitz des‘ ehemaligen
Hofes übernommen hat, unsere öffentlichen Samm-
‚ungen ganz gewaltig vergrößert. Ueberaus kostbare
Objekte, die früher gar nicht oder nur bei besonderen
Gelegenheiten zu sehen waren, sind jetzt allgemein
zugänglich; man hat auf diese Weise ganz neue
Sammlungskomplexe geschaffen. Die Anzahl der
Kunstausstellungen ist eher gestiegen; es gibt auch
mehr Künstlervereinigungen als früher — wir werden
allerdings später zeigen, daß dies nicht als günstiges
Symptom zu werten ist, sondern ‘als das Gegen-
teil! — es sind neue Kunstsalons entstanden, nicht
minder haben sich private Vereinigungen gebildet,
deren Ziel die Pflege und Vermehrung unseres er-
erbten Kunstgutes, wie die Förderung neuzeitlicher
Bestrebungen ist. Insofern darf man sogar, ohne in
den Verdacht der Schönfärberei zu kommen, von
einem wirklichen Aufschwung sprechen. Jedoch ist
die Kehrseite der Medaille zu beachten: alle diese
Bestrebungen und Versuche, das Kunstleben zu
fördern, beweisen nur, wie dringend es dieser Hilfe
bedarf und wie schwach die wirtschaflliche Basis ist,
auf der es sich aufbaut.
Immerhin haben sich die Verhältnisse auf dem
Gebiet der bildenden Künste im Lauf der letzten
Jahre stabilisiert; wie sehr, merkt man wohl erst,
wenn man versucht, an der Hand authentischer
Daten sich die Zustände zu vergegenwärtigen, die
nach dem Zusammenbruch herrschten. So wie die
Zeiten des Maisbrots, der Karbidbeleuchtung und
ınderer Ersatzstoffe nur mehr undeutlich in unserem
Gedächtnis fortleben, so auch die Zeit, da mit der
olitishen und wirtschaftlichen Existenz des Landes
ıuch seine geistige und künstlerische von allen Seiten
»edroht war. Wir wollen im folgenden kurz und
ınparteiisch die wichtigsten Ereignisse jener chaotischen
%*poche aufzeichnen.
Zugleich mit der Erklärung Oesterreichs zur Re-
yublik hatte die Regierung den Kunstbesitz des
»hemaligen Kaiserhauses als Staatsgut übernommen.
Jas war ein Mittel, ihn für das Land zu retten,
»eschwor aber gleichzeitig eine andere große Ge-
ahr herauf: den Siegermächten und Sukzessions-
:taaten war damit die Möglichkeit gegeben, Ansprüche
darauf zu erheben. In welch ungeheuerlichem Aus-
naß dies denn auch geschah, braucht hier nicht aus-
ührlich erzählt zu werden, da ja zum Glück nur der
zeringste Teil dieser Forderungen anerkannt und
wirklich befriedigt worden ist. Ebenso groß wie diese
Gefahr von außen, war die von innen. Es mutet
ıns heute gespenstisch an, daß sehr maßgebende
Personen und Behörden sich allen Ernstes mit der
"rage beschäftigten, ob nicht die ganzen Sammlungen
des Kunsthistorischen Museums, sowie die Kunst-
zegenstände aus den kaiserlichen und erzherzoglichen
Schlössern in Bausch und Bogen an das Ausland
verkauft werden sollten, um dafür Lebensmittel und
Aohmaterialien anzuschaffen. Noch ein volles Jahr
ı1ach dem Umsturz wurde von der Regierung eine
Kommission eingesetzt, deren Aufgabe es war, sich
mit diesen Vorschlägen zu befassen. Im Februar 1920
erschien der Gesetzentwurf über die Vermögens-
abgabe. Darin war vorgesehen, den gesamten privaten
Kunstbesitz zu besteuern — nicht nur wie in Deutsch-
ıand den seit I014 erworbenen! — und zwar zum
zegenwärtig geltenden Wert! Diese Bestimmung, tat-
jächlich ganz undurchführbar, wurde freilich gemildert,
ia eigentlich aufgehoben durch den Zusatz, daß alle
sammler und Besitzer von wertvollen Kunstgegen-
ständen von dieser Steuer befreit sein sollten, wenn
sie ihre Schätze unter bestimmten, vom Denkmalamt
lestgesetzten Bedingungen der öffentlichen Besichti-
zung freigäben.
Wie groß damals die Verwirrung war, geht daraus
hervor, daß gleichzeitig mit diesen Verfügungen und
Plänen, die das gesamte Kunstleben Oesterreichs zu
vernichten drohten, eine mächtige Bewegung einsetzte
um Wien als Kunst- und Kulturzentrum zu erhalten-
Schon in den ersten Wochen nach dem Umsturz
‚auchte der Vorschlag auf, den nunmehr freige-