Der Bund wie die Stadt Wien zeigten sich ange-
sichts dieser Zustände bereit, nach Maßgabe der ihnen
zu Gebote stehenden Mittel helfend einzugreifen. Es
wurden Preise ausgesetzt, Wettbewerbe ausgeschrieben,
Unterstützungen gegeben, Ankäufe gemacht — Tropfen
auf einen heißen Stein, von denen manche auch noch
daneben fielen! Fin Segen für die fast gänzlich un-
beschäftigten Architekten waren die großen Wohn-
hausbauten der Gemeinde; allerdings mehr in wirt-
schaftlicher als in künstlerischer Hinsicht, denn in fast
allen Fällen — einige wenige ausgenommen — handelte
es sich nicht um Kunst- sondern um Nutzbauten,
die nun freilich durch ihre ungeheure Ausdehnung
und die praktischen Anforderungen sehr interessante
Probleme enthielten. Als eine Art von Kunstförderung
sind auch die von der sozialdemokratischen Kunst-
stelle veranstalteten Ausstellungen „Kunst ins Volk”
anzusehen, die das Verständnis für bildende Kunsı
in Arbeiterkreisen zu wecken bestimmt waren. Als
besonders rühmenswert muß hervorgehoben werden,
daß der Bund im Lauf der letzten Jahre die sehr
beträchtlichen Mittel aufgebracht hat, um einige der
dem Verfalle nahen, überaus wertvollen historischen
Gebäude wieder in Stand setzen zu lassen.
Zehn Jahre Wiederaufbau! In der ersten Hälfte
dieser Zeit befand sich Oesterreich in einer Lage,
die der letzten Stufe vor dem völligen Untergange
ähnlicher schien als irgend etwas anderm. ‚Seither
haben sich die Zustände langsam, langsam gebessert.
Es gibt Pessimisten, die das nicht anerkennen wollen.
Gewiß wird noch viel, unendlich viel sich ändern
müssen, bevor man auch nur von halbwegs normalen
Verhältnissen sprechen kann; wer: sich jedoch ins Ge-
dächtnis zurückruft, wie es vor zehn, acht, ja sechs
Jahren noch ausgesehen hat, der wird nicht nur
Staunen müssen über das, was seither geleistet
worden ist, sondern auch Mut schöpfen, der unge-
wissen Zukunft entgegenzutreten. A. F.S.
Infolge der eigenartigen ökonomischen Verhält-
Jisse, die nach dem Umsturz eintraten und zumin-
destens anfangs dem Kunsthandel günstig gewesen
Sind, ist eine ganze Anzahl von Kunstsalons und
Antiquitätenhandlungen entstanden, so die „Neue
Wolfrum-Druck. Leonardo da Vinci Bildnis de Ginevra dei Benci.
(Original in der fürstlich Liechtensteinschen Galerie Wien)
Galerie”, die „Holbein-Galerie”, die „Lukas-
Galerie”; andere schon bestandene haben mittler-
weile an Bedeutung gewonnen, so z. B. die Kunst-
randlung M. Lindemann. Einige importante Stücke
aus dem Besitz der Genannten erscheinen hier ab-
zebildet. Als Beispiel einer der zahlreichen Privat-
;sammlungen sei hier die des Kommerzialrates
Jos. Siller angeführt, die vorwiegend Werke der
letzten 100 Jahre umfaßt. Wir bringen hier einige
Stücke, die größtenteils im Laufe des vergangenen
Dezenniums erworben worden sind. Ein Hauptwerk
Waldmüllers, der „Guckkastenmann” mit etwa
30 Figuren, aus der reifsten Zeit des Meisters
‘Kommerzialrat Siller besitzt auch das berühmte, von
Grillparzer in einem Gedicht besungene „Mädchen
mit der Taube”, das lebensgroße Porträt eines jungen,
barfüßigen Mädchens, in einer Berglandschaft); dann
ain noch auf holländische Vorbilder zurückgehendes,
aber doch schon ganz eigenartiges Tierstück von
Gauermann, Peter Fendi’s „Kaiser Karl V. im
Kloster zu St. Just”, ein Meisterstück intimer Klein-
malerei und einen besonders schönen, frühen J. E.
Schindler.
KUNST UND KÜNSTLER
Von Professor Alexander D. Goltz, Präsident der Genossenschaft bildender Künstler Wiens.
Wenn wir uns ein Urteil über den Stand der
bildenden Künste in Österreich in dem letzten
Dezennium bilden wollen, müssen wir eigentlich viel
Veiter, bis in die Vorkriegszeit, zurückblicken. Die
Eigentümlichkeiten, die das Verhältnis zwischen künst-
lerischer Produktion, Publikum und Kritik in Öster-
reich und besonders in Wien früher gekennzeichnet
haben, sind dieselben geblieben, haben sich höchstens
n mancher Beziehung noch etwas verschärft. In einem
Roman Schnitzlers „Der Weg ins Freie” ist der