Full text: 10 Jahre Wiederaufbau

Verfassungsgerichtshof auf Grund eines Antrages 
der Salzburger Landesregierung die Bestimmungen 
der VIL Novelle, soweit sie sich auf die Regelung 
der Krankenversicherung der land- und forstwirtschaft- 
lichen Land- und Arbeitnehmer bezogen, als ver- 
fassungswidrig aufgehoben. Die Bestimmungen 
traten sohin mit 6. Februar 1925 außer Wirksamkeit. 
Im Laufe des ersten Halbjahres 1925 wurde nun in 
allen Bundesländern mit Ausnahme von Salzburg und 
Öberösterreich die Krankenversicherung der land- und 
forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer durch Landesgesetze 
geregelt, die. auf Grund der Verfassungsübergangs- 
novelle vom 30. Juli 1925 seit dem 1. Oktober 1925 
als Bundesgesetze gelten. In einzelnen Gegenden von 
Oberösterreich bildeten. sich ohne eine gesetzliche 
Grundlage Gemeindekrankenkassen, die dem zweifel- 
los auch dort bestehenden Bedürfnisse nach einer 
Krankenversicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter 
gerecht zu werden versuchen. ; 
Der durch die erwähnten landesgesetzlichen Vor- 
schriften geschaffene Zustand auf dem Gebiete der 
Krankenversicherung der land-(forst-)wirtschaftlichen 
Arbeitnehmer wurde bald von den maßgebenden 
Faktoren als unbefriedigend erkannt. Nach lang- 
wierigen Beratungen mit den beteiligten Organisationen 
der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer wurde im 
Jänner 1927 die Regierungsvorlage eines bezüglicher 
Bundesgesetzes im Nationalrate eingebracht und 
durchberaten. Der Nationalrat hat jedoch dieses Ge- 
setz nicht erledigt, er hat vielmehr am I. April 1927 
anläßlich der Verabschiedung des Arbeiterversicherungs- 
gesetzes, das die Krankenversicherung, ferner aber aud; 
die Unfallversicherung und die Invaliditäts-(Alters-)ver- 
sicherung aller jener Arbeiter regelt, deren Versiche- 
rung nicht einer Sonderregelung vorbehalten ist, die 
Regierung aufgefordert, eine alle Zweige der Sozial- 
versicherung der Land- und Forstarbeiter betreffende 
Vorlage einzubringen. Diesem Auftrage ist die Re- 
gierung im November 1927 nachgekommen. Der Ent- 
wurf wurde nach mehrfachen Abänderungen am 
18. Juli 1928 verabschiedet. Der Krankenversicherung 
nach dem im Bundesgesetzblatte unter Nr. 235 
kundgemachten Landarbeiterversicherungsgesetz wer- 
den außer den in land- und forstwirtschaftlichen Be- 
trieben und deren Nebenbetrieben, in nicht gewerbs- 
mäßigen Gärtnereien und in der Jagd und Fischerei 
Beschäftigten auch solche Personen unterliegen, die 
als Arbeiter bei Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen- 
schaften und sonstigen Vereinigungen von Landwirten 
mit beschränkter Arbeiterzahl oder als Hausgehilfen 
land-(forst-)wirtschaftlicher Arbeitgeber in Verwendung 
Stehen. Das Gesetz bezieht auch alle im Betriebe be- 
Schäftigten Verwandten des Arbeitgebers mit alleiniger 
Ausnahme der Ehegattin in die Versicherungspflicht 
ein, eröffnet jedoch hinsichtlich der Kinder, Eltern 
und Geschwister des Arbeitgebers die Möglichkeit 
einer kollektiven Befreiung. Die Zahl der dem Land- 
ırbeiterversicherungsgesetz unterliegenden familien- 
Temden Arbeiter ist mit ungefähr 500.000, die Zahl 
ler mittätigen Familienangehörigen der Ar- 
beitgeber mit etwa 200.000 Personen zu veran- 
schlagen. 
Die Krankenversicherung nach dem Landarbeiter- 
versicherungsgesetz wird in den Bundesländern Wien, 
Niederösterreich, Kärnten, Tirol und Vorarlberg am 
t, Jänner 1029 in Kraft treten. In den übrigen Bundes- 
‘ändern soll sie mit I. Jänner 10930 wirksam werden, 
soferne nicht durch Verordnung ein früherer Ver- 
sicherungsbeginn festgesetzt wird. 
Bis zum I. Juli 1927 beruhte auch die Krankenver- 
sicherung jener Angestellten, die nicht auf Grund 
besonderer Vorschrift bei der Krankenversicherungs- 
ınstalt der Bundesangestellten oder einer Landwirt- 
schaftskrankenkasse versichert waren, auf den 
Bestimmungen des Gesetzes über die Krankenver- 
sicherung der Arbeiter (K.V.G.), Das Angestellten- 
versicherungsgesetz vom 20. Dezember 1020 hat nun 
für die ihm unterliegenden etwa 220.000 Personen 
auch eine, den dienstrechtlichen Verhältnissen dieser 
Personen angepaßten Neuregelung der Krankenver- 
sicherung gebracht. Eine nähere Darstellung dieser 
Versicherung findet sich in der Abhandlung über die 
Angestelltenversicherung (Siehe dort), in der auch 
las Sondergesetz über die Sozialversicherung der 
Notare und Notariatsangestellten seine Würdigung 
erfährt. 
Einer gesetzlich geregelten Krankenver- 
sicherung entbehren gegenwärtig noch die Ange- 
stellten mehrerer Bundesländer und der meisten 
Gemeinden, darunter insbesondere jene der 
Semeinde Wien. Diese letztere hat für ihre un- 
gefähr 35.000 Angestellten auf dienstherrlicher Grund- 
lage ein eigenes Krankenfürsorge-Institut geschaflen, 
das hinsichtlich seiner Organisation und der Ver- 
sicherungsleistungen im wesentlichen nach dem Muster 
der Krankenversicherungsanstalt der Bundesangestellten 
singerichtet ist. Auch verschiedene andere Gemeinden 
and einige Bundesländer haben für ihre Angestellten 
ähnlich eingerichtete Krankenfürsorgeinstitute . ge- 
schaffen. 
Aus der vorstehenden Darstellung ergibt sich, 
welch bedeutende Fortschritte auf dem Ge- 
biete der Pflichtversicherung der Arbeitnehmer 
für den Fall der Krankheit seit dem Bestand der 
österreichischen Republik erzielt worden sind. Es 
wurden nicht nur neue große Gruppen von Arbeit- 
1ehmern in die Versicherung einbezogen, es wurde 
auch getrachtet, die gesetzlichen Bestimmungen den 
Bedürfnissen der einzelnen Arbeitnehmergruppen 
nöglichst anzupassen. Wenn einmal die noch im Zuge 
‚efindlichen gesetzgeberischen Arbeiten abgeschlossen 
und die bezüglichen Gesetze in Wirksamkeit getreten 
sein werden, wird die obligatorische Krankenversiche- 
rung der Arbeitnehmer folgende Gruppen umfassen: 
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