das tausendfache der Vorkriegssätze erhöht wurden.
Die Sozialdemokraten erhoben gegen diese Ver-
ordnumg, weil. durch sie die Teuerung verschärft
würde, im Finanzausschuß des Nationalrates heftigsten
Einspruch und beantragten, dem Finanzminister die
Mißbilligung auszusprechen. Die Abstimmung
über diesen Antrag wurde vertagt, da der Finanz-
minister sowie der Bundeskanzler, der Außen- und
der Handelsminister in Genua weilten. Als es nach
der Rückkehr des Finanzministers am 10. Mai zur
Abstimmung über den Mißbilligungsantrag
cam, erhielt dieser, da die Großdeutschen mit den
Sozialdemokraten stimmten, die Mehrheit, worauf
Dr. Gürtler demissionierte und der Bundes-
kanzler mit der Fortführung der Geschäfte des
Finanzministeriums , betraut wurde. Bald darauf
wurde der Regierung eine Kreditermächtigung,
die sie in der Höhe von 120 Milliarden Kronen
angesprochen hatte, ebenfalls mit den Stimmen der
Sozialdemokraten und Großdeutschen im Finanzaus-
schuß verweigert und ihr auf Antrag der Großdeutschen
nur 476 Milliarden für die Beamtenauszahlung in den
nächsten Wochen bewilligt. Da auch das Plenum des
Nationalrates diesem Beschluß zustimmte, demissio-
nierte am 24. Mai das Kabinett Schober.
Die unsicheren parlamentarischen Verhältnisse
natten den Führer und Obmann der Christlich-
sozialen Partei, den Universitätsprofessor und Prä-
‚aten Dr. Ignaz Seipel, schon vor längerer Zeit
veranlaßt, in Verhandlungen mit den Groß-
deutschen über die Bildung einer trag-
fähigen Parlamentsmehrheit einzutreten.
Dr. Ignaz Seipel legte nun nach der Demission- des
Vlinisteriuums Schober ein Aufbauprogramm vor,
auf Grund dessen er die Bildung einer Arbeits-
mehrheit und Regierung unternehmen wollte. Das
Programm fand auch. die Billigung der Groß-
deutschen, die nun mit den Christlichsozialen eine
Koalition mit dem Ziele des Wiederaufbaues des
Staates eingingen und sich auch an der Regierungs-
»ildung beteiligten. Der neuen Regierung, die am
31. Mai 1922 gewählt wurde, gehörten an: Dr. Ignaz
Seipel (Bundeskanzler), Dr. Felix Frank (Vize-
<anzler und Inneres), Dr. Alfred Grünberger
"Aeußeres), Dr. Emil Schneider (Unterricht), Doktor
"Leopold Waber (Justiz), August Segur (Finanzen),
mil Kraft (Handel und Gewerbe, Industrie und
Bauten), Dr. Franz‘ Odehnal (Verkehrswesen),
Richard Schmitz (soziale Verwaltung), Rudolf
Buchinger (Land- und Forstwirtschaft und . Volks-
arnährung), Karl Vaugoin (Heereswesen). Infolge
Erkrankung des Finanzministers Segur wurde am
[4. November 1022 Dr. Viktor Kienböck zum
Finanzminister gewählt.
{m letzten Augenblick noch‘ gelang es Dr. Seipel,
die Kredithilfe des Völkerbundes zu mobilisieren
und das Genfer Sanierungsprogramm, das unter
anderem die Finanzkontrolle durch einen General-
<ommissär — es wurde vom Völkerbundrat Doktor
Zimmerman bestellt — vorsah, einzuleiten. Welche
Verdienste sich Bundeskanzler Dr. Seipel damit um
lie Schaffung der Grundlagen für den Wiederaufbau
Jesterreichs erworben hat, ist bereits in den Blättern
ler europäischen Nachkriegsgeschichte eingetragen.
Die Durchführung der Genfer Vereinbarungen bildete
n der Folgezeit den Angelpunkt der Politik der öster-
‚eichischen Regierung. Das Reform- und Finanz-
»rogramm wurde im Wiederaufbaugesetz festgelegt,
las Reformen der Verwaltung und der Bundes-
»etriebe sowie Maßnahmen zur Verminderung deı
staatsausgaben und Erhöhung der Staatseinnahmen
vorsah. Im Zuge der Ersparungsmaßnahmen wurde
am 9. April 1923 die Zahl der Bundesministerien
auf sieben herabgesetzt. Die Ressorts des Aeußeren,
les Inneren und der Justiz wurden mit dem Bundes-
canzleramt vereinigt. Mit der Führung der aus-
wärtigen Angelegenheiten im _Bundeskanzleramte
connte jedoch ein eigener Bundesminister betraut
werden. Die Besorgung der Justizagenden . im
3Zundeskanzleramt fiel dem Vizekanzler zu. Das
Wlinisteriuum für Handel und Gewerbe, Industrie und
Bauten wurde mit dem Ministerium für Verkehrs-
wesen zu einem Ministerium für Handel und
Verkehr vereinigt. Auf Grund dieser organisato-
-ischen Neuordnung wurde am 17. April die Regierung
n folgender Zusammensetzung neu gewählt: Dr. Ignaz
Seipel (Bundeskanzler), Dr. Frank (Vizekanzler),
Dr. Grünberger (Aeußeres), Dr. Schneider (Unter-
richt), Dr. Kienböck (Finanzen), Dr. Hans Schürfl
“Handel und Verkehr), Schmitz (soziale Verwaltung).
Buchinger (Land- und Forstwirtschaft), Vaugoin
‘Heereswesen).
Am 2l. Oktober 1923 wurden, da die Gesetz-
gebungsperiode. abgelaufen war, Neuwahlen in
den Nationalrat durchgeführt. Sie ergaben keine
wesentliche Verschiebung in den Parteiverhältnissen
und es bedeutete nur eine Formalität, daß die
Regierung am 20. November demissionierte und
sich von dem neuen Nationalrat wieder wählen ließ.
Am I. Juni 1924 verübte ein Spinnereiarbeiter, ein
geistig minderwertiger Mensch, am Wiener Südbahn-
hof auf den Bundeskanzler Dr. Seipel einen Mord-
anschlag durch Abfeuern mehrerer Revolverschüsse
and verwundete ihn schwer. Erst nach drei Monaten
konnte Dr. Seipel seine Amtstätigkeit wieder vol:
aufnehmen.
Anfangs November führten Spannungen, die sich
in dem Verhältnis zwischen Bund und Ländern
ergeben hatten, und ein infolge von Differenzen hei
Lohnverhandlungen entstandener Streik der Eisen-
bahner zu einer Gesamtdemission des Kabi-
netts. Als seinen Nachfolger schlug Dr. Seipel seinen
Parteigenossen Dr. Ramek vor. Die von diesem ge-
dildete Regierung wurde am 20. November vom