Full text: Die Lehren des Marxismus im Lichte der russischen Revolution

Organismus und stellt, seinem Instinkte folgend, fest, daß 
es ihn sehr nach Fleisch oder aber nach Käse, nach einer 
Mohrrübe oder einem Ei gelüste. Und dieser Instinkt betrügt 
ihn nicht. Ist nun ein Markt da, so werden alle diese Gelüste 
summiert, und als deren Resultat entstehen Direktiven für 
die Produktion, die viel richtiger sind, als die Physiologie 
nebst der Statistik sie ergeben können. 
Allein die Bestimmung des Nahrungsbedarfs ist noch lange 
nicht die schwierigste Aufgabe. Wer kann aber ausrech- 
nen, wieviel Holz die Einwohnerschaft Petrograds braucht, 
um dem Frieren zu entgehen? Wollten wir dafür die alten 
Normen benutzen, so sind diese unanwendbar, da man gegen- 
wärtig nur einzelne Wohnungen oder gar einzelne Zimmer in 
sonst leer gewordenen Häusern, die in ihrer ganzen Kon- 
struktion für Zentralheizung eingerichtet sind, beheizen muß. 
Neue Normen sind jedoch nicht da. Wie kann aber die so- 
zialistische Gesellschaft die Richtigkeit ihrer a priori-Normen 
überhaupt nachprüfen, da sie doch keinen Mechanismus be- 
sitzt, der die Intensität des Holzbedarfs der Einwohner an- 
zeigt? 
Mit der Norm für Bekleidung steht es noch schlimmer. 
Denn so sehr wir, angesichts der schweren Lage der Repu- 
blik, darauf bestehen mögen, daß die Bürger nur die Be- 
friedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse verlangen dür- 
fen, — auf diesem Gebiete läßt sich Notwendiges von Kon- 
ventionellem nicht trennen. Mögen wir Männer uns mit der 
elementarsten, einförmigsten Kleidung begnügen — ein mäch- 
tiger Instinkt wird es den Frauen für ihren Teil nicht er- 
lauben, sich mit einem solchen Zustand zu versöhnen. Im 
Rahmen der freien Tauschwirtschaft wird die Frau sich 
lieber etwas vom Essen absparen, als auf eine gewisse 
ästhetische Verschönerung ihrer Kleidung verzichten. Ist 
unsere Republik, selbst in ihrer schweren Lage, berech- 
tigt, diesen Instinkt zu unterdrücken?! Wir glauben kaum: 
Auf die Herstellung wie vieler notwendiger Gegenstände 
muß nun die Republik verzichten, um den Minimalbedarf der 
Frauen an Schmuck, an Bändern, Spitzen, Federn zu be- 
iriedigen? 
Man wird einwenden: Übernimmt es nicht auch der kapi- 
tahstische Staat, nach bestimmten Normen die Bedürfnisse 
gewisser Bevölkerungsgruppen zu befriedigen, und wird er 
dieser Aufgabe nicht in vollem Maße gerecht? Wir haben ja 
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