VII. Großhandel und Großhändler im Lübeck des 14. Jahrhunderts 219
allem die Handlungsbücher geführt. Und zwar schon zu Anfang des
14. Jahrhunderts mehrere nebeneinander. Schon das älteste erhaltene ist
ajn ausgesprochenes Sonderbüchlein, das nur für jene Geschäfte bestimmt
war, die zu Anfang der dreißiger Jahre des Jahrhunderts Hermann Waren-
dorp und sein Schwager Johann Clingenberg in gegenseitiger Vertretung
ausführten‘). Auch Johann Wittenborgs Handlungsbuch kann, wie ein
kritischer Vergleich mit Wittenborgs Eintragungen ins Schuldniederstadt-
buch zeigt, unmöglich das einzige Buch dieser Art gewesen sein, das er
führte. Obendrein handelt bereits eine Urkunde des Jahres 1323°) ausdrück-
ich von der sorgsamen Aufbewahrung der Handlungsbücher, nicht des
Handlungsbuches des verstorbenen Lübecker Kaufmanns und Ratsherrn
Rudolf de Soltwede. Gemeinsam ist diesen ältesten Handlungsbüchern die
zigenhändige Führung durch den Kaüufmann selbst, nicht durch
seine Angestellten, der bündigste Nachweis, daß Schrift- und Sprach-
kenntnis — vor allem des Lateinischen — zu Anfang des 14. Jahrhunderts
eine Selbstverständlichkeit für die kaufmännische Oberschicht Lübecks
war®). Außerdem verließen aber die Schreibkammer des Kaufmanns unge-
zählte Urkunden, durch die er sich zu Leistungen verpflichtete, und andrer-
seits waren auf der Schreibkammer alle die Urkunden aufbewahrt, durch
die sich fremde Kaufleute zu Zahlungen verpflichtet hatten. Wenn ein
Lübecker Kaufmann mittlerer Bedeutung wie Werner Cusfeld zwei silberne
Siegelstempel hinterließ, einen größeren für wichtigere, einen kleineren für
kleinere Urkunden, so mag man daraus ermessen, wie schreib- und urkund-
iroh der Kaufmann damals bereits war. Allerdings: erhalten ist von alledem
fast nichts, Einige wenige Handlungsbücher, ganz wenige Briefe, und kauf-
männische Privaturkunden auch nur in ganz geringer Zahl. Erst an der
Wende zum 14. Jahrhundert ist in den Handlungsbüchern der Veckinghusen
und in ihren vielen Hunderten von Briefen ganz vereinzelt einmal ein ver-
hältnismäßig geschlossener Bestand erhalten. Er läßt erraten, wie ungeheuer-
lich gerade auf dem Gebiet des kaufmännischen Urkundenwesens die Ver-
luste sind. Um so verfehlter wäre es aber deshalb gerade hier die geringen
arhaltenen Bruchstücke zum Wertmesser des einst Vorhandenen zu machen.
Dieser Einblick in das Kapitel: Kaufmann und Schriftlichkeit ist not-
wendig, um die überraschenden Wandlungen in den Lübecker Verhältnissen
des ausgehenden 13. Jahrhunderts zu verstehen. Denn offenbar besteht
zwischen dem Aufkommen des neuen federgewandten Kaufmannstyps und
der Verlegung des Schwerpunktes im hansischen Kaufmannsleben von Wisby
nach Lübeck ein ursächlicher Zusammenhang. Denn: mochte Wisby sehr
wohl der gegebene Beratungsplatz sein für den auf See- und Kaufmannsfahrt
begriffenen Kaufmann alten Stiles, so bot doch Lübeck ganz andere Vorteile,
als der schriftgewandte Kaufmann jetzt von einem festen Platze aus sein
Geschäft leiten konnte. Saß er doch in Lübeck in dem wirtschaftlichen