u 17
In diesem, von Frankreich und England als Vormachtsstaaten siark
jeeinflußten Europa spielt Deutschland solange keine, auch nur an-
rähernd so wichtige Rolle wie unter Bismarck, weil es an reifen,
politischen Köpfen, an wirklichen Führern auch in. der Industrie und
im Handel wie auch in der Landwirtschaft zurzeit fehlt. Deutschlands
Position ähnelt, gegenwärtig der Spaniens, Hollands, Schwedens nach
deren Verlust von Kriegen und Kolonien.
Der jetzige englische Außenminister Austen Chamberlain schrieb
bereits vor 37 Jahren (18387): „Wenn man andauernd der Jugend eines Landes
predigt, daß sie ein besseres Erzeugnis des Schöpfers ist als andere Nationen,
ist sie nur zu gern bereit, dieses zu glauben, und der Vortragende, der sich
zu solchen Feststellungen herabläßt, wird große Scharen anzuziehen ver-
mögen. Dies ist sehr gefährlich. Ich fürchte, die heranwachsende Generation
der Deutschen wird viel hochmütiger werden.“ (/Empire Revue.)
Der Hochmut ist sicherlich nicht mehr in weiten Kreisen vor-
handen. Aber um so mehr sollle man gegen diejenigen in Wort und
Schrift vorgehen, die bei gleichzeitiger Überschätzung der vielen guten
Kigenschaften des deutschen Volkes die vorhandenen oder in Entwick:
hang hegriffenen Kräfte in anderen Nationen weiter unterschätzen.
Auch diese haben ihre Fehler und Mängel, aber auch gewisse Vorzüge.
Jede Nation hat die Berechtigung stolz zu sein. KEinbildung und
Hochmut sınd etwas anderes, Je mehr man in der Welt der Nationen
sich umsieht, desto häufiger und ticler prägt sich der Eindruck ein, daß
Tüchtigkeit und Intelligenz überall‘ zu finden sind.” Die großen Eigen-
schaften eines. Volkes oder einer Nation kommen nur zur Entfaltung
durch Führernaturen, Persönlichkeiten, Die Frage ist, ob aus dem
deutschen Demos solche Führer sich entwickeln, die die großen vorhan-
denen Kräfte richtig entwickeln ohne Überwertung der eigenen und
ihres Volkes Kraft. In der Zeit des Wilhelmismus und Mammo-
nismus fehlten diese Führer; .krankhaftes Selbstbewußtsein verhinderte
die Objektivität und cin Vergleichsurteil mit anderen Völkern. Wir
Müssen uns erst einmal als „Staatsbürger“, nicht als „Untertanen“
fühlen; darin sind wir z. Zt. noch nicht anderen Nationen ebenbürtig
Was bedeutet „Staal‘“?, was „Nation‘?, was „wahrhaftige natio-
nale, d.h, vaterländische Gesinnung“? Ohne das verpönte Gebiet der
Politik zu berühren, muß ich doch sagen, daß mich, in dem die Einig-
keitstage des August 1914 während meiner Internierung in England
1914 und 1915 widerhallten, die Parteikämpfe Deutschlands aufs
lefste empören. Die vaterländische Gesinnung der Sozialdemokraten
Sieht über.allem Zweifel, versichert mir ein,deutschnationaler. Partei-
"ührer im besetzten. Rheinland. Dort gedieh also, unter dem Drucke ge-
Meinsamer ‘Eindrücke, die Anerkennung anderer Anschauungen. In
England hat die konservative Partei sehr häufig vorurteilsios Macdonald
Zugestimmt und die Macht, Berechtigung. .und. Zukunft des demokrati-
Schen Gedankens anerkannt. Auch die englische. konservative Partei ist
demokratisch. Wenn in Deutschland, dem gegenwärtig bolitische und an-
tere führende Größen fehlen. nicht das (Jesamtintereseen des Demos für das