Full text: Methodische Einführung in die allgemeine Wirtschaftsgeographie

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III. Abschnitt. 
Die zweite Art der Störung, die in allen Ländern der Erde vorkommt, 
ist die Veränderlichkeit der Wasserführung. Je weniger demnach ein 
Wasserlauf unter diesen zeitweilig wirksamen Hindernissen des Ver 
kehrs zu leiden hat, als eine um so brauchbarere Schiffahrtstraße 
darf er gelten, selbst dann, wenn seine Ausmessungen nicht besonders 
groß sind. Diese letzte Tatsache trifft namentlich bei den englischen 
und niederländischen Wasserwegen zu, deren Querschnitt ja meist 
nicht an den der größeren mitteleuropäischen Ströme heranreicht. 
In welchem Maße die Eisstörungen den Verkehr zu hemmen ver 
mögen, zeigt uns namentlich das Russische Reich, wo man im Mittel 
nur mit einer Schiffahrtsperiode von 77 2 bis 8 Monaten rechnet. 
Während aber dort der Dnjestr eine mittlere Schiffahrtsdauer von 
299 Tagen hat, rechnet man an der Dwina nur mit einer solchen von 
180 Tagen; in ungünstigen Jahren hat man an diesem Flusse aber 
auch schon weniger als 160 Tage gehabt, an welchen sie zum Ver 
kehr benutzt werden konnte. 
Die Bedeutung der Eisstörungen zu kennen, liegt im allereigensten 
Interesse der Volkswirtschaft, weshalb die Wirtschaftsgeographie ganz 
besonderen Wert darauf legen muß, ihre Dauer und die Grenzen ihrer 
Ausdehnung festzustellen. 
Beispiel: Wie groß die Wirkung des Frostes auf die Schiffahrt selbst in 
nicht übermäßig winterkalten Gebieten ist, ergibt sich aus dem Verhältnis der Be 
hinderungszeiten. Benutzt man die von 1874 bis 1894 an der Oder aufgestellten 
Erhebungen, so sieht man, wie zwar die volle Ladung der Fahrzeuge durch Niedrig 
wasser an 157 Tagen unmöglich war, diese aber doch mit halber oder dreiviertel 
Ladung verkehren konnten. Stellt man dem die durch den Frost verursachten 
Störungen gegenüber, so zeigt sich, daß während 78 Tagen der Strom nicht benutzt 
werden konnte, weil der Frost die Schiffahrt behinderte. Die beiden Gründe der 
Behinderung, Eis und niedrige Wasserstände, verhielten sich also in der angegebenen 
Zeit wie 1:2. 
Von den Störungen, sowohl den durch den Frost wie auch durch 
andere Ursachen hervorgerufenen, gilt nun auf wirtschaftsgeographi 
schem Gebiete der gleiche Satz, den ich seinerzeit auch für allgemeine 
klimatologische Untersuchungen aufgestellt hatte, und den wir ohne 
weiteres auf die hier behandelte Art von Untersuchungen übertragen 
können. Er lautet hier: 
Die mittlere Dauer der Verkehrsstörung durch regel 
mäßige natürliche Einflüsse ist weniger wichtig als die 
Häufigkeit und die Größe ihrer Schwankungen. 
Dieser Satz bedarf einer Erläuterung insofern, als in den am Ver 
kehr interessierten Kreisen in der Regel die Bedeutung der Mittel 
werte natürlicher Erscheinungen stark überschätzt wird. Betrachten 
wir aber einmal das Verhältnis der Eisstörungen auf einem Strome 
im klimatischen Uebergangsgebiet zwischen Mittel- und Osteuropa 
und denen auf einem sibirischen Flusse. Die Weichsel bei Warschau 
hat zwar 305 Tage ohne Eisverschluß. Aber die innerhalb einer rund 
90-jährigen Periode beobachteten Schwankungen sind infolge der 
Unregelmäßigkeit des mitteleuropäischen und westrussischen Klimas 
so groß, daß neben einigen ganz eisfrei gebliebenen Jahren eine ganze 
Reihe nachgewiesen sind, in denen der Eisverschluß außerordentlich 
viel länger währte, als nach dem Durchschnitt anzunehmen war. Ganz 
anders im mittleren Sibirien, wo zwar die Störung der Schiffahrt 
durch das Eis sich über eine Reihe von Monaten ausdehnt, wo aber 
die Zeit des Auftretens und des Verschwindens der Eisdecke viel
	        
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