Vergemeinschaftung und Gemeinschaft. 221
trachten wir aber z. B. zwei Seelen, die „einig“ sind, weil jeder
von ihnen der Gedanke zugehört: „Jetzt regnet es“, so stehen sie
doch in keiner Zusammengehörigkeitsbeziehung, sind also auch keine
Einheit, weil in der Welt jederzeit eine Seele, welcher dieser Ge-
danke zugehört, vorhanden sein kann, ohne daß eine andere Seele,
welcher dieser Gedanke zugehört, vorhanden ist. Hingegen kann in
der Welt kein identisches Allgemeines ohne eines seiner besondernden
Allgemeinen, keine Bestimmtheit eines Einzelwesens ohne andere Be-
Stimmtheit dieses Einzelwesens, kein Augenblick eines Einzelwesens
ohne anderen Augenblick dieses Einzelwesens und keine Ursache ohne
ihre Wirkung vorhanden sein. Nur aus dem Bedürfnisse heraus, zwei
Seelen, welche in der Beziehung der „Einigkeit“ stehen, als durch
Solche Beziehung bestimmte Mehrheit durch ein Wort zu kennzeichnen,
Stellt sich die Gewohnheit ein, auch in solchem Falle von einer „Ein-
heit“ zu sprechen. Das Wort „Einheit“ ist eben im gewöhnlichen
Sprachgebrauche zweideutig, ein Umstand, der insbesondere in den
Gesellschaftswissenschaften zu schier unübersehbarer Verwirrung An-
laß gegeben hat, und die verborgene Wurzel aller Lehren darstellt, in
welchen „Gesamtseelen“, „geistige Organismen“, „überindividuelle
Seeleneinheiten“, „Ganzheiten von mehreren Seelen“ usw. behauptet
werden. Wann immer aber in den Gesellschaftswissenschaften das Wort
„Einheit“ gebraucht wird, ergibt die nähere Untersuchung, daß gar
keine Einheit von Seelen vorliegt, es sich nicht um Zusammen-
gehörigkeit von Seelen, sondern lediglich um „Einigkeit“, („Ge-
Meinschaft“) handelt, um eine Beziehung, welche dadurch gestiftet wird,
daß mehreren Seelen ein und dasselbe Seelische zugehört. Daraus er-
klärt es sich auch, daß wir in den Gesellschaftslehren so oft die Rede-
Wendungen hören, „es sei die Einheit in einer Vielheit zu suchen“,
während in Wahrheit eine Einheit stets ohne Suchen voraus-gegeben
'st, da es sich um mehrere Gegenstände handelt, deren keiner ohne den
anderen gegeben sein kann.
Indes bietet die deutsche Sprache ein Wort, welches zwei (oder
Mehrere) Seelen in der Beziehung der „Einigkeit“ kennzeichnet, ohne
ZU phantastischen Mißdeutungen Anlaß zu geben, nämlich das Wort
»Gemeinschaft“. „Gemeinschafts-Mehrheit“ nennen wir eine
durch besondere Gemeinschaft bestimmte Seelen-Mehrheit, „Gemein-
Schafter“ nennen wir jede einer Gemeinschafts-Mehrheit angehörige
Seele, Da „Gleichheit“ überhaupt, also auch „Einigkeit“, eine „durch
ein Allgemeines begründete Beziehung“ darstellt, kann nicht nur hin-
Sichtlich zweier, sondern auch hinsichtlich mehrerer Seelen, denen Etwas
SCMeinsam ist, von „Einigkeit“ gesprochen werden. Sprechen wir
allerdings von einer „Gemeinschafts-Mehrheit“, die nicht „Gemeinschafts-
Zweiheit“ ist, so liegen eigentlich mehrere „Gemeinschafts-Zweiheiten“