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gehörigen Wunsch darstellt, so konnte man nicht angeben, worin ge-
rade ein „Anspruch“ bestehe, da eben dann jede Aussage über einen
eigenen Wunsch oder doch wenigstens jede Aussage über einen eigenen
Wunsch nach besonderem Verhalten des Adressaten ein „Anspruch“
wäre, was aber nicht zutrifft, da z. B. A dem B seinen Wunsch mit-
teilen kann, daß B ihm Etwas schenkt, obwohl A weiß, daß dies aus
besonderem Grunde nicht möglich ist, so daß also A gar nicht um
solches Verhalten des B wirbt. Sagte man hingegen, daß ein „Befehl-
satz‘‘ zwar eine Aussage, aber keine Aussage über einen eigenen
Wunsch sei, so gerät man wieder in Verlegenheit, anzugeben, worüber
eigentlich in einem „Befehlsatze‘“ ausgesagt werde, und mußte die un-
haltbare Meinung vertreten, daß ein Befehlender mit seinem Satze über
dieses sein gegenwärtiges Befehlen aussage, also ein Urteil über dieses
sein gegenwärtiges Urteilen fälle. Allerdings aber enthält diese an
sich irrige Meinung‘ einen versteckten Wahrheitskern insofern, als jeder
Ansprucherheber darauf zielt, daß der Anspruchadressat den Glauben
gewinne, es sei an ihn ein Anspruch gerichtet worden. Dies heißt
aber nichts anderes, als daß der Ansprucherheber, sei es
mit zweifacher Behauptung, sei es mit zwei Behauptungen,
zunächst auf zweifachen Behauptungs-Glauben des An-
spruchadressaten zielt. Er zielt nämlich darauf, daß der Anspruch-
adressat zunächst den Glauben gewinne, der Ansprucherheber habe
ihm den Gedanken zugehörig machen wollen, daß ihm, dem Anspruch-
erheber, besonderes Wünschen, bzw. Fürchten zugehöre, und ferner
den Glauben gewinne, der Ansprucherheber habe ihm den Gedanken
zugehörig machen wollen, daß ihm, dem Ansprucherheber, ein besonderer
Ander-Soll-Gedanke zugehöre, also der Gedanke, daß Wissen besonderer
Seele um die Kundgabe jenes Wünschens, bzw. Fürchtens als grund-
legende Bedingung dafür in Betracht kommt, daß Erfahrung jener
Seele, das gewünschte Verhalten des Adressaten sei nicht eingetreten
oder das gefürchtete Verhalten des Adressaten sei eingetreten, die wir-
kende Bedingung für die Verwirklichung eines auf den Adressaten be-
zogenen Unwertes abgibt. Erst mit dem letzteren Behauptungs-Glauben
wird dem Adressaten ein Anspruch-Glauben zugehörig, der Glaube,
daß an ihn ein Anspruch gerichtet wurde. Weiß z. B. A ohne Be-
hauptung des B, daß B ein besonderes Verhalten des A wünsche,
bzw. fürchte und daß Erfahrung des B, das gewünschte Verhalten des
A. sei nicht eingetreten oder das gefürchtete Verhalten des A. sei ein-
getreten, die wirkende Bedingung für die Verwirklichung eines auf A
bezogenen Unwertes abgeben werde, so wird dieses Wissen des A. ihn
zwar vielleicht zu einem besonderen Verhalten veranlassen, aber es tritt
selbstverständlich bei ihm kein Anspruch-Glauben ein, denn „Wissen
um besonderes Seelisches eines Anderen‘ ist noch kein „Wissen um