Staats-Gesellschaft, Rechts-Gesellschaft und Wirtschafts-Gesellschaft. 535
lernt haben, nicht unsere ethisch-politischen Wünsche den Gegeben-
heiten als „Schleier“ umzuhängen, sondern diese Gegebenheiten aus
ihnen selbst heraus in ihrer „Nacktheit“ zu bestimmen.
Soll überhaupt ein wissenschaftliches Urteil über das „Verhältnis
von Staat und Recht“ gefällt werden, so müssen wir erst wissen, was
‚Staat“ und was „Recht“, je für sich betrachtet, darstellen. In der Ent-
wicklung der neueren Staatsrechtslehre hat man mit immer größerem
Nachdrucke den „Rechtsbegriff“ dem „Staatsbegriffe“ gegenübergestellt
Jiese Entwicklung beginnt ja damit, daß man die Frage nach dem
‚öffentlichen Rechte“ im Gegensatze zum „Privatrechte“ erhob, also die
Frage, ob sich der „Staat“ dem „Rechte“ unterwerfen lasse. Diese
Frage aber, welche für sich schon besonderen politischen Interessen
entsprang — insbesondere dem Interesse an der „Bindung des Monar-
chen“ —, ist für die Staatsrechtslehre verhängnisvoll geworden, da man
sie in bejahendem Sinne beantworten zu müssen glaubte und nun immer
mehr Gebiete in das Gebiet des „Rechtes“ hineinziehen wollte, so daß
schließlich mit dem scheinbaren „Triumphe“ des „Rechtsbegriffes‘“ dieser
„Rechtsbegriff“ als ein in allen Farben schillerndes, wissenschaftlich
unbestimmbares Etwas dasteht. In Wahrheit hat die Entwicklung der
neueren Staatsrechtslehre gar nicht dem „Rechtsbegriffe“ zum Siege
verholfen, vielmehr in den „Rechtsbegriff“ immer neue Gegebenheiten
‘ineingezwängt, so daß wir uns schließlich heute in der merkwürdigen
Lage finden, immerzu vom „Rechte“ zu reden, aber keinen einzigen
klaren „Rechtsbegriff“ zu wissen. Dieser gesuchte „Rechtsbegriff“ wird
aber niemals gefunden werden, woferne man sich nicht endlich ent-
schließt, alle politischen Wünsche beiseite zu setzen und nicht ganz
willkürlich zusammengeraffte Gegebenheiten mit dem Worte „Recht“
zu belegen.
Die um die Bestimmung des „Rechtsbegriffes“ Streitenden gliedern
sich hauptsächlich in zwei Gruppen, die man mit den Worten „posi-
tivistische Rechtslehre“ und „idealistische Rechtslehre“ be-
zeichnet. Freilich schillert wieder die Rede vom „juristischen Posi-
tivismus“, die gewöhnlich mit selbstgefälligem Stolze gebraucht wird,
in vielerlei Sinnfarben, der Kern des gegenwärtigen „juristischen Posi-
Hyvismus“ ist aber wohl die Behauptung, daß „positives Recht“ das
„staatlich gesetzte Recht“ sei. Da aber die „Staatslehre“ und die „Rechts-
lehre“ nur Labyrinthe von dunklen Gängen darstellen, ist es nicht ver-
wunderlich, daß auch die Rede „staatlich gesetztes Recht“ einen wahren
Regenbogen von Sinnfarben aufweist, Sind nämlich erstens mit der
Rede von „staatlich gesetztem Rechte“ „staatlich gemeinte Befehle“ ge-
dacht, also Befehle, die jemand auf Grund des Gedankens erteilt, daß
er Inhaber einer Staatsmacht sei, so erhebt sich sogleich die Frage, ob
nur die „gültigen staatlich gemeinten Befehle“, also die „Staats-