Object: 10 Jahre Wiederaufbau

mäßig schwer angeben — die Schätzungen schwanken 
zwischen zehntausend und hunderttausend — aber 
Tatsache ist, daß für diese Minderheit jeder Tag 
etwa zwei bis drei Solistenkonzerte, manchmal auch 
mehr, und jede Woche der sechs Saison - Monate 
mindestens drei große Orchesterkonzerte bringt. 
Es existieren zwei große Qualitäts-Orchester: die 
Wiener. Philharmoniker und das Wiener 
Sinfonie- Orchester, das eine aus MO, das 
andre aus 06 Künstlern bestehend. Die Philhar- 
moniker (die seit 1842 bestehen) stellen eine Repu- 
blik vor, das Sinfonie-Orchester (seit IQ01 bestehend, 
{023 umgestaltet) vermietet sich verschiedenen Gesell- 
schaften und Vereinen: dem Konzertverein, dem Ton- 
künstlerverein, der Gesellschaft der Musikfreunde. 
Die Philharmoniker geben nur 8 Konzerte mit 
$ öffentlichen Generalproben, der Konzertverein 
ebenfalls 8 Konzerte mit 8 öffentlichen General- 
proben, die Tonkünstler 8 Konzerte, die Gesell- 
schaft der Musikfreunde 8 Sonderabonnements- 
konzerte, die Veranstaltung der Arbeiter-Sinfonie- 
Konzerte ebenfalls 8 Abende und endlich das 
Bundesministeriuum für Unterricht (bisher) 8 Jugend- 
konzerte (die aber seit heuer mit den Generalproben 
des Konzertvereins zusammenfallen). Alles in allem 
64 regelmäßige Orchesterkonzerte, zu denen noch 
die außerordentlichen, die Orchesterkonzerte von 
Solisten, die Vereins-, die Promenade-, die Sonn- 
:agskonzerte, kommen, ganz abgesehen von der 
Konzertproduktion der „Ravag”, die u. a. ein deut- 
liches Abnehmen der früheren Kultur der Hausmusik 
nerbeiführen. 
Die technische und geistige Höhe der Philhar- 
moniker ist bereits sprichwörtlich, die des Sinfonie- 
Orchesters steht ihr nicht nach; die Philharmoniker 
sind im ganzen etwas konservativ (trotz gelegent- 
licher Neuheiten: Hindemith, Weill, Strawinski), die 
Sinfoniker moderner und beweglicher, beide aber 
haben gerade in den letzten Jahren den großen 
klassischen Musikbesitz in erster Linie ge- 
pflegt. Die Programme, die in den Kriegszeiten 
manche Gesinnungs-Opfer bringen und selbst Stücke 
wie „Isonzo”, die sinfonische Dichtung eines kriegs- 
begeisterten Majors aufführen mußten, kreisen im 
wesentlichen um die erhabensten Werke der 
Tonkunst. Hervorgehoben zu werden verdient die 
Beethoven-Woche (Juni 1918), das Schubert- 
Fest 1022 (Gesellschaft der Musikfreunde und 
Konzerthaus-Gesellschaft), das große Beethoven- 
Fest 1927 (26. bis 3I. März), das Schubert-Fest 
10928 und das große Musikfest der Stadt 
Wien, 1025, das fast einen Monat dauerte, eine 
Reihe von Kammer- und Oprchesterkonzerten 
umfaßte und in der Aufführung der „Glücklichen 
Hand” von Arnold Schönberg (Volksoper) 
gipfelte. Zweifellos wurde der Name der Stadt 
Wien durch diese Feste mit einer neuen Welle 
‚on Glanz versehen, zweifellos der Ruf der 
wviedererstarkenden Stadt im Ausland befestigt, und 
zu den alten neue Schätzer und Freunde Wiens 
zewonnen. 
Nimmt man alles zusammen, so zeichnet sich 
Wien durch ein geschmackvolles Qualitäts-Musi- 
zieren aus, das Publikum lehnt alle Variationen 
axzentrischen Sensations-Dirigierens auf die Dauer 
ıb, was namentlich auf die Anzahl bedeutender 
Dirigenten zurückzuführen ist, die Wien ver- 
inigt. Im Herbst I018 erschien zum ersten Mal 
Wilhelm Furtwängler, der, nach der ruhm- 
'eichen Aufführung der C-Moll-Sinfonie von Brahms 
März I919) an Stelle Nedbals als Dirigent für 
las damalige Tonkünstler- Orchester verpflichtet 
wurde. Furtwängler leitete dann mit Leopold 
ieichwein (der an Schalks Stelle trat) die 
Conzerte der Gesellschaft der Musikfreunde, seit 
927 ist er nicht bloß mehr gerngesehener Gast, 
jondern. dauernd verpflichteter Dirigent der Phil- 
ıarmoniker, die IQ Jahre lang von Felix Wein- 
sartner dirigiert wurden. Mit der Berufung Wein- 
zartners nach Basel fiel diese wichtige Stelle 
"urtwängler und Schalk zu, während die Gesell- 
chafts-Konzerte nunmehr von Robert Heger, die 
Conzertvereins-Zyklen von Leopold Reichwein 
‚eleitet werden. Noch andere Dirigentenpersönlich- 
zeiten tauchten in diesem Zeitraum auf, so Clemens 
<rauss, der eine Zeitlang (er war Kapellmeister 
der Staatsoper) auch die Tonkünstler - Konzerte 
'eitete, dann Paul von Klenau, der seit 1022 
Conzertdirektor des Konzertvereins ist und Dirk 
Tock, der eine Zeitlang Nachfolger Ferdinand 
‚öwes war, des Mitbegründers des Konzertvereins- 
‚öwe, dieser hochverdiente Künstlers, dem Wien 
än zweites sinfonisches Orchester und namentlich 
lie stilvolle Pflege Bruckners verdankt, starb 1025 
ınd fand erst in Reichwein einen würdigen Nach- 
olger. An ihm kann dieser Bericht nicht vorüber- 
‚ehen, ebensowenig an Rudolf Nilius, der zuerst 
‚hilharmonische Kammerkonzerte mit aparten histo- 
ischen und Novitäten-Programmen einführte, und 
lurch die Gründung der Wiener Oratorien-Ver- 
inigung eine Bereicherung des Musiklebens her- 
‚eiführte. Nilius ist auch einer der Dirigenten des 
Vonkünstlervereins, während Franz Schalk außer 
einer Eigenschaft als Operndirektor noch als 
Dirigent des neuen Staatsopernchors tätig il. 
"ranz Schalk ist ein ganz unübertrefflicher 
Conzertdirigent, noch bedeutender als sein 
Auf, und ein meisterhafter Darsteller namentlich 
3Zeethovens, Bruckners, Mahlers, Wagners, Wollfs: 
»eseelt vom Glauben an diese Meister, „zelebriert 
er deren Werke mit einer priesterlichen Begeiste- 
ung, aber auch mit einem tüchtigen Handwerks- 
<önnen und außer Furtwängler ist das Niveau- 
aalten in Wien vorzugsweise ihm zu danken.
	        
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