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weise auch mit den Begriffen: Ursache, Kraft, Substanz aufgeräumt.
Dieses Reinigungswerk läßt sich am besten verfolgen an dem Schick-
sal, das der Substanzbegriff erfahren hat. „Substanz“ sollte dasjenige
heißen, „was mit sich identisch bleibt, während es zugleich Ver-
änderungen durchmacht“. Es war das erste Werkzeug, das sich der
Erkenntniswille zum Zwecke der Naturerklärung schuf, nachdem
die Natur schon entzaubert und entgottet war. Nachdem man als
das in den Körpern Verharrende nicht mehr Seele, nicht mehr Goit,
den guten oder bösen Geist erkannte, setzte man an die Stelle ein
großes X und nannte es Substanz, nannte es auch wohl Atom,
Energie, neuerdings Elektrizität. Und es gibt noch Forscher, die in
der Elektrizität „den von den Forschern durch Jahrtausende ge-
suchten Urstoff erblicken, aus dem alle sinnlich wahrnehmbaren
Dinge gestaltet sind“ (Haas). Schließlich hat man aber auch dieses
letzte, reichlich dunkle Etwas verflüchtigt in das „elektromagnetische
Feld“. Es gibt nun keinen mit sich identischen Stoff mehr. „Wir
finden an jedem Orte nur wechselnde Zustände, nirgends einen sub-
stantiellen Träger, an dem sie haften, der sie mit sich forttragen
könnte. Die ‚Zustände‘ oder ‚Vorgänge‘ in der Natur sind eben etwas
Selbständiges, nicht Zustände von etwas oder Vorgänge: an etwas.
Die moderne Physik ist nicht Physik des Stoffes, sondern eine Physik
des ‚Feldes‘. Dieses aber ist nur ein Inbegriff aller im Raum vor-
handenen Zustände, nicht ein substantieller Äther, dessen Zustände
sie wären. Die Materie wird gänzlich auf Zustände zurückgeführt, sie
ist nichts als ein Komplex von solchen.‘ 8
Daß gleichzeitig mit dem Substanzbegriff auch der Ursach- und
der Kraftbegriff fallen mußten, an denen z. B. Helmholtz noch
strenge festhielt, ist einleuchtend.
Ich nenne diesen Vorgang der Entmetaphysizierung des natur-
wissenschaftlichen Denkens Entwesung.
Hat man auf die geschilderte Weise „den Geist herausgetrieben‘‘;
und hat man num „die Teile in seiner Hand“, so ist jetzt die auf-
bauende Aufgabe zu lösen: die toten Erscheinungen sind äußer-
a
8 Moritz Schlick, Naturphilosophie in: Max Dessoir, Lehrbuch der Philo-
sophie 2 (1925), S. 426.