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Vor allem tadelt. er an ihr, daß sie einen falschen Reichtumsbegriff
zum Mittelpunkt ihrer Erörterungen mache und die „Theorie der
produktiven Kräfte‘‘ vernachlässigt habe. Der Vorwurf trifft im
wesentlichen zu. Es handelt sich aber bei dem Streit ganz und gar
nicht um irgendeine grundsätzliche Unterschiedlichkeit der beiden
Forschungsmethoden, sondern ausschließlich um die Frage der An-
wendung der richtigen „Arbeitsideen‘. In Wahrheit sind beide Be-
trachtungsweisen völlig gleich berechtigt: nicht entweder statisch oder
dynamisch, sondern sowohl statisch als auch dynamisch sollen wir
das Wirtschaftsleben ansehen. Mill selber hat ja ausdrücklich die
statische und die dynamische Fragestellung nebeneinander zur An-
wendung empfohlen.
6. Vorwurf der Unzulänglichkeit des Erfahrungsstoffes,
aus dem die Regeln und Gesetze abzuleiten seien. Das war nach der
Meinung Schmollers der wundeste Punkt in der orthodoxen
Nationalökonomie, auf den er deshalb mit Vorliebe den Finger legte.
Er hat seinen Gegnern immer wieder voreilige Verallgemeinerungen
vorgeworfen. Gewiß — ihr Vorsatz: Gesetze zu finden, sei gut. Aber
noch sei nicht Zeit, diese Gesetze zu formen. Noch müsse Material
herbeigeschafft werden. Menger fragte nicht ganz mit Unrecht: wann
denn die historische Schule, die sich mittlerweile zur „neuen“ histo-
rischen Schule weiterentwickelt hatte, mit dieser Materialsammlung
fertig zu werden hoffe. Ob die Erforschung der Schuhmacherzunft
in Dinkelsbühl auch unbedingt nötig sei? Und die der Schneider-
zunft ebenda? Und auch die der beiden Zünfte in Bomst usw.
Aber gerade in der Erhebung dieses Einwandes enthüllt sich die
erkenntnistheoretische Schwäche der gesamten oppositionellen
Nationalökonomie. Diese läßt nämlich damit erkennen, daß sie gar
nicht weiß, worin die angegriffene Lehre grundsätzlich irrte, und
worin sie wirklich einer urgründlichen Umgestaltung bedürftig war:
das war nämlich ihre naturwissenschaftliche Gesamteinstellung. Und
diese teilten ja alle oppositionellen Nationalökonomen,
teilten wenigstens alle namhaften Vertreter der historischen Schule:
von Roscher bis Schmoller. Sie alle sind darin einig, daß es die
Aufgabe der Nationalökonomie sei, durch die Beobachtung eines
möglichst reichen Erfahrungsstoffes zur Aufstellung von Gesetzen zu