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3. Die Tendenzen
(jesetze im Sinne von wissenschaftlichen Urteilen über notwendiges
Sein oder Geschehen gibt es für die Wirklichkeit nicht. Ist diese nun
aber darum dem reinen Zufall ausgeliefert?
Daß das Wirtschaftsleben kein Chaos darstellt, beweist die zweifel-
lose Tatsache, daß in ihr Gleichförmigkeiten vorkommen, und sie
allein sind es ja, die unsere Teilnahme wecken, wenn wir systema-
tische Kulturwissenschaft treiben.
Es interessiert uns als Nationalökonomen nicht, ob eine Unter-
nehmung bankrott wird oder sich mit einer anderen verschmilzt oder
eingeht; ob ein Arbeiter arbeitslos wird; ob eine Ware in diesem
Laden billiger ist als im andern usw. Also gerade die lebensnächsten
Erscheinungen gehen uns nichts an, solange sie vereinzelt auftreten.
Erst als „Massenerscheinungen‘“ ziehen wir sie in den Kreis unserer
Betrachtungen.
„Massenerscheinungen‘‘ aber sind diejenigen Fälle, in denen sich
bestimmte Merkmale an den Einzelerscheinungen wiederholen, in
denen „Gleichförmigkeit‘““ auftritt.
Die Gleichförmigkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen kann
sich auf größere oder kleinere Kreise erstrecken. Erst bei einer be-
stimmten Größe des Kreises sind wir gewohnt, die Erscheinungen
wissenschaftlich zu werten. Es kommt auf die Einstellung an, wie
wir die Grenzen der Gleichförmigkeitskreise ziehen wollen. Treiben
wir Volkswirtschaftslehre, so ist die einzelne Volkswirtschaft der
Bereich, innerhalb dessen wir nach Gleichförmigkeiten ausschauen,
die dann gegen die abweichende Gestaltung in anderen Volkswirt-
schaften abstechen. ‘Betrachten wir die Wirtschaft unter sozial-
ökonomischen Gesichtspunkten, so werden wir unser Augenmerk
richten auf diejenigen Gleichförmigkeiten, die sich innerhalb des
Geltungsbezirks eines Wirtschaftssystems beobachten lassen.
Sehr treffend hat Eulenburg!% diese Gleichförmigkeit des Ge-
schehens und die Annahme ihrer Dauer als das logische Apriori für
das Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen bezeichnet,
181 F, Eulenburg, Nalurgesetze und Sozialgesetze im Archiv für Sozial-
wissenschaft usw. Bd.. 32, 697. Val. auch K. Marbo, Die CGleichförmigkeit der
Welt. 19197.