Full text: Durch Abessinien und Erythräa

geschlossenen Räumen und unter Vorsitz erfahrener Richter, 
die nach der Gesetzsammlung Feta-Negest ihre Urteile fällen, 
tagt. Das gesprochene Urteil pflegt unverzüglich vollstreckt 
zu werden. Ist eine Körperstrafe vorgesehen, so hat der 
Verurteilte sich sofort zu entkleiden und sich mit dem Gesicht 
nach unten auf die Erde, die er vorher küssen muß, zu legen. 
Der Richter bestimmt Zuschauer, die des Angeklagten Hände 
und Füße festzuhalten haben, und einen anderen, der ihn 
auspeitschen muß. Ich habe im eigentlichen Abessinien Ge— 
richtssitzungen beider Art beigewohnt, aber erst in der 
italienischen Kolonie Erythräa hatte ich Gelegenheit, zu beob— 
achten, daß eine Strafe exekutiert wurde. Die Gesetze des 
Feta⸗Negest stammen bereits aus dem Altertum. Man 
glaubt, daß sie auf dem Konzil von Nizäa kodifiziert und 
von einem koptischen Priester namens Abraham ins Arabische 
und von einem anderen koptischen Priester in das Geez (alt— 
äthiopische Sprache) übersetzt worden sind. In Abessinien 
wurden sie im sechzehnten Jahrhundert eingeführt. Die 
Sammlung umfaßt Zivil-, Kriminal- und Kirchenrecht. Es 
bedarf kaum der Erwähnung, daß das Feta⸗Negest nicht 
immer wörtlich zur Anwendung kommt, noch unbeeinflußt 
ausgelegt wird. In Abessinien wie in anderen Ländern 
sind die Richter Menschen und oft nicht ganz frei von Vor⸗ 
urteilen und despotischer Veranlagung. Einige Beobachter 
behaupten, daß das sogar in Abessinien öfter der Fall ist als 
anderswo; es heißt, daß Geschenke, obwohl sie verboten sind, 
großen Einfluß auf die richterliche Entscheidung haben. Das 
Gesetzbuch sieht Strafen vor für Zauberer, Traumdeuter und 
jene, die aus Früchten, aus Schalen oder aus dem Sand die 
Zukunft weissagen. Tätigkeiten, von denen man annimmt, 
daß sie dem Willen Gottes widersprechen, sind verboten,
	        
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