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es bei allen aufrichtigen und einsichtigen Katholiken großes Aergerniß
errregen müßte, wenn dem doch gleichfalls mit menschlichen Schwächen
und Fehlern behafteten Papste eine Eigenschaft beigelegt würde,
die ja Gott nur allein besitze und man sich daher durch einen
solchen Menschenact gar arg gegen ihn versündige. Allein die
protestirenden Bischöfe wurden überstimmt und zur Unterwerfung
gezwungen, erst mit Güte, und, wo diese nicht wirkte, durch An
drohung der Amtsentsetzung. Und einer nach dem andern gab
seine Ueberzeugung Preis und unterwarf sich. Die niedere Geist
lichkeit, einzelne rühmliche Ausnahmen abgerechnet, wagte gar
nicht, offenen Widerstand zu leisten, und ebensowenig Laien,
aus Furcht vor Excommunication und anderen Kirchenpönitenzen.
Ja, einige deutsche Bischöfe glaubten den Übeln Eindruck ihrer Ein
sprache gegen das Unfehlbarkeitsdogma in Rom dadurch gänzlich
verwischen zu können und die vollste Gnade am päpstlichen Stuhle
wieder zu gewinnen, daß sie sich gegen die kirchlichen Gesetze des
Staates unbotmäßig zeigten. Als nun dieser Behufs Aufrecht
erhaltung seiner Autorität sich gezwungen sah, gegen die Gesetzes
übertreter strafrechtlich vorzugehen, schrie man in Rom über Ver-
gewaltigung, Unterdrückung der Gewissens- und Glaubensfreiheit,
über Diocletianische Verfolgung, Eingriffe in die Rechte der katholi
schen Kirche, Verwaisung der Diöcesen und was dergleichen Un
wahrheiten mehr waren. Noch lauter schrieen die preußischen An
hänger der Jesuiten und man war sogar so perfide, die preußische
Negierung und die Liberalen der Urheberschaft des in Rom an
gezettelten Culturkampfes zu beschuldigen. Diese Leute trieben aber
nicht etwa religiöse Beweggründe und moralische Ueberzeugung dazu,
sich an dem frivolen Kampfe gegen ihr eigenes Vaterland zu bc-
theiligen, sondern particularistischer Haß, Herrschsucht oder der
Ehrgeiz, eine wichtige Rolle in der Politik zu spielen. Und wohl
fühlend, daß diese Rolle von nicht längerer Dauer sein würde,
als der Culturkampf, suchen sie selbst unter Anwendung moralisch
verwerflicher Mittel, allen auf Wiederherstellung des religiösen