Full text: Die Haftpflicht der Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer

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sich der Begriff der „höheren Gewalt" nicht fairen lassen noch 
eine Fassung ermöglichen, welche auch nur annäherungsweise 
der Tendenz des vorliegenden Gesetzes genügte. Wenn irgendwo, 
muß hier dem höchstinstanzlichen Richterspruch die Entscheidung 
überlassen werden.*) 
c. Im Anschluß an die Befreiung des Haftpflichtigen 
durch den Nachweis der „höheren Gewalt" hat man zur Be 
schränkung dieser Befreiung folgenden Zusatz beantragt: 
„Der Betriebs-Unternehmer haftet insbesondere auch für 
die durch seine Angestellten und Arbeiter bei Gelegenheit ihrer 
Dienstverrichtungen verursachten Beschädigungen eines Menschen". 
Dieser Antrag ist aber abgelehnt worden, und mit Recht, 
da nach Art. 400 des Handelsgesetzbuchs auch der Frachtführer 
haftet für seine Leute und für andere Personen, deren er sich 
bei Ausführung des von ihm übernommenen Transports bedient. 
Angestellte und Arbeiter stehen beim Bahn-Betriebe hin 
sichtlich der Haftpflicht des Unternehmers in demselben Ver 
hältniß zu letzterem, wie Locomotiven oder andere Betriebs 
mittel. Im Uebrigen sprach schon zu § 25 des preuß. Eisen 
bahngesetzes vom 3. Novbr. 1838 ein Erkenntniß des Ober- 
Tribunals vom 13. Novbr. 1857 (Entscheid. Bd. 37 S. 32) 
aus: „Die Eisenbahn-Gesellschaften als solche sind wegen des 
aus Unterlassung der ihnen gesetzlich obliegenden Einrichtungen 
und Sicherheitsmaßregeln einem Dritten entstandenen Schadens 
dem Beschädigten unmittelbar verantwortlich und daher nicht 
berechtigt, denselben an die Repräsentanten oder Beamten, durch 
deren Schuld jene Einrichtungen oder Sicherheits-Maßregeln 
nicht getroffen sind, zu verweisen". 
Der Grundsatz der Vertretung der Angestellten und Ar 
beiter durch den Betriebs-Unternehmer, wie ihn der oben an 
geführte Antrag dem Gesetze einverleiben wollte, war also schon 
unter dem eine legislatorische Quelle ersten Ranges für das 
Haftpflicht-Gesetz bildenden § 25 eit. in höchster Nichterinstanz 
anerkannt. 
d. Der Nachweis des „eigenen Verschuldens" wird 
sich in den meisten Fällen auf die Thatsache der Uebertretung 
und Verletzung der Polizei- und Betriebs-Reglements seitens 
des Beschädigten beziehen und beschränken. Dennoch können 
Fälle vorkommen, in denen dieser Nachweis nicht genügt, um 
die Haftpflicht abzuweisen. Es wird dabei hauptsächlich auf 
den Vorsatz des Beschädigten ankommen, sich in die Lage zu 
versetzen, welche ihm den Entschädigungsanspruch absprechen 
soll. So wird z. B. ein Passagier, der ohne Erlaubniß der 
competenten Beamten einen Bahnzug ohne Lösung eines Billets 
benutzt, von vornherein jedes Entschädigungsanspruchs verlustig. 
Denn er befindet sich nicht „beim Betriebe der Bahn", er 
*) Wir erinnern hier an einen Fall, der auch nach dem vorliegenden 
Hastpflichtgcsetze schwer zu entscheiden sein möchte. 
Im November 1865 hatte die Appellkammer des Landgerichts zu 
Elberfeld eine Frau wegen fahrlässiger Tödtung eines Eisenbahn-Arbeiters 
zu bestrafen. Diese Frau fuhr auf der Eisenbahn von Station Haan nach 
Vohwinkel und warf während der Fahrt ein Bündel von Gemüsepflanzen 
aus dem Fenster des Eisenbahnwagens zur Empfangnahme seitens eines 
ihrer Angehörigen. Das Bündel, durch die rasche Fahrt in der Wurfkraft 
verstärkt, traf einen der dort dienstlich beschäftigten Eisenbahn-Arbeiter so 
unglücklich auf den Leib, daß derselbe an einer Unterleibs-Entzündung 
erkrankte und — starb. — 
War in diesem Falle die Eisenbahn haftpflichtig? — Der Arbeiter 
war in Dienstarbeit, welche unzweifelhaft zum Betriebe der Bahn gehörte. 
Er wurde also „beim Betriebe der Bahn" getödtet. Die Ursache seines 
Todes war ebenfalls „beim Betriebe der Bahn" erfolgt, jedenfalls aber 
war sie ein „unabwendbarer äußerer Zufall", der den Betriebs-Unternehmer 
haftpflichtfrei machte, während die Dienstarbeit des Getödteten die Haft 
pflicht begründete. In diesem Falle wäre nach der Tendenz des vorliegenden 
Gesetzes der Schadensanspruch des Getödteten gegen die Bahn begründet 
gewesen und dieser letzter» hätte nur der Regreß gegen die Urheberin des 
Todes zugestanden. — 
existirt rechtlich nicht für den Bahnbetrieb, deshalb auch nicht 
für den Betriebs-Unternehmer. Anders verhält sich die Sache 
schon bei einem Passagier, der ein gelöstes Billet während der 
Fahrt verliert oder vernichtet und später verunglückt. Hier ist 
der Entschädigungsanspruch schon erworben mit Lösung des 
Billets, und derselbe könnte nur dadurch verloren gehen, daß 
der Passagier über seine Billetberechtigung hinaus im Zuge 
geblieben wäre. 
Der concrete Fall wird auch hier in seinem subjectiven 
und objectiven Thatbestände das Urtheil bestimmen müssen, in 
welchem ursächlichen Zusammenhange das eigene Verschulden 
mit der Tödtung oder Körperverletzung steht, für welche der 
Betriebs-Unternehmer haftpflichtig sein soll.*) 
Es läßt sich der Fall denken, daß durch die Tödtung oder 
Körperverletzung außer dem Getödteten oder Verletzten noch 
dritte Personen mittelbar beschädigt werden an Leib oder Leben. 
Für diese Uebertragung gilt dann das Principale Rechts- und 
Haftpflicht-Verhältniß, d. h. die Eisenbahn muß auch jeden 
mittelbar Beschädigten entschädigen, wenn sie den unmittelbar 
Beschädigten zu entschädigen hat. Wenn z. B. ein beim Be 
triebe Getödteter auf einen nicht beim Betriebe der Bahn Be 
teiligten geschleudert würde und diesen hiermit tödtete, so käme 
die Haftpflicht auch diesem zu Gute, so weit der Betriebs- 
Unternehmer nicht den ihn befreienden Nachweis führte. Würde 
dieser Nachweis schon gegen den unmittelbar Getödteten geführt, 
so überkäme nur der letztere EntschädigungsPflicht gegen den 
mittelbar Getödteten. — 
9. In Oesterreich ist die Haftpflicht der Eisenbahnen 
schon früher, nämlich durch das Gesetz vom 5. März 1869 
geordnet, also lautend (nach seiner Publication im Reichs- 
Gesetz-Blatt Stück XIII. Nr. 27): 
„§ 1. Wenn durch ein Ereigniß im Verkehr einer mit 
Anwendung von Dampfkraft betriebenen Eisenbahn die körper 
liche Verletzung oder die Tödtung eines Menschen herbeigeführt 
wird, so wird stets vermuthet, daß das Ereigniß durch ein 
Verschulden der Unternehmung oder derjenigen Personen ein 
getreten sei, deren sie sich zur Ausübung des Betriebes bedient. 
Das Verschulden dieser Personen hat die Unternehmung ebenso 
wie ihr eigenes Verschulden durch Leistung des Ersatzes nach 
Maßgabe der §§ 1325—1327 des a. B. G.-B. zu vertreten. 
§ 2. Von dieser Ersatzleistung wird die Unternehmung nur 
dann und in dem Maße befreit, als sie beweist, daß das Er 
eigniß durch einen unabwendbaren Zufall oder durch eine un 
abwendbare Handlung einer dritten Person, deren Verschulden 
sie nicht zu vertreten hat, oder durch Verschulden des Be 
schädigten verursacht wurde. Eine von der Unternehmung im 
vorhinein angekündigte oder mit ihr vereinbarte Ablehnung oder 
Einschränkung dieser Ersatzpflicht ist ohne rechtliche Wirkung. 
§ 3. Klagen auf Ersatzleistung, welche auf Grundlage dieses 
Gesetzes wegen Ereignisse, die der Wirksamkeit desselben nach- 
*)Dr. Endemann bemerkt in seinem Commentar zum Hastpflicht 
gesetze (S. 24 Anm. 42): „Natürlich haftet die Eisenbahn für die Ver 
letzung einer jeden andern Person, die durch das Verschulden Jemandes 
neben besten eigener Verletzung entsteht. Auch darin gilt der Standpunkt 
der Assekuranz. Die Eisenbahn mag sehen, wie sie eigenes Verschulden, 
das auch noch andere Personen gefährden kann, verhütet". 
Uns ist nicht recht klar, welcher Fall hier gedacht ist. Die Ueber 
tragung der culpa und damit der Haftpflicht kann nur nach dem Wahr 
spruch des Dichters erfolgen: „Das ist der Fluch der bösen That, daß sie 
fortzeugend Böses muß gebären". — Hat Jemand durch eigenes Ver 
schulden seine Tödtung oder Verletzung herbeigeführt, so steht die Eisenbahn 
außer allem Haftpflichtconnex mit dieser letzter», kann also auch nicht 
haftpflichtig werden für die Folgen des Verschuldens, für welches sie keine 
Verantwortung hat. Culpa culposum citât, — wo eben nicht die Schuld- 
vertretung ausnahmsweise anders geordnet ist, wie z. B. zwischen der 
Bahn und ihren Angestellten (s. o. unter c.) — 
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