26 2. Abschnitt. Grundlegung u. Ausbau der Sozial- u. Wirtschaftspolitik.
die Einwanderung Südtiroler und italienischer Arbeiter in Deutschland eilte wach
sende Rolle. War die Auswanderungspolitik in den 40er Jahren noch mehr ge
meinnütziger Art, insofern als der oberste Zweck lediglich die Beschaffung von Ver
dienst und Brot für den kleinen Man n war, so ist die Nebersee- nnb Expansions
politik der neuesten Zeit ein Produkt des großen Kapitals und in den letzterl
Gründen des Großverkehrs. —
I). Stellung der Regierung zur nutzeren und inneren Konkurrenz.
I. Zoll- und Handelspolitik.
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erwuchs der voit freihändlerischen
Ideen beherrschten Theorie aus den Streifen der jnnganfstrebenden Industrie eine
immer stärkere Gegnerschaft. In Süddeutschland empfand man das Andrängen der
ausländischen Konkurrenz, aber auch der Rheinlande und Sachsens, deren Industrie
einen Vorsprung von einigen Jahrzehnten hatte, besonders unangenehm. Dazu kam
die direkte Einwirkung der Ideen Fr. Lists. Der Zollschntz hatte daher dort eine
starke Anhängerschaft. Auf der andern Seite gab es verschiedene Spezialitäten, ivie die
Bijouterie in Gmünd, oder die Leinen- und Tuchweberei aus der Alb und im Schwarz
wald, die nachwiesen, daß ihr Gedeihen von einer weiteren Oefsnnng der Nachbar
grenzen abhänge. Zudem ging in den akademischen und Beamtenkreisen nachgerade
die allgemeine Ueberzeugung dahin, die deutsche Industrie könne ihre Konkurrenz
fähigkeit auf dem Auslandsmarkt nur in der Qualitätsindustrie nnb nur vermittelst
erhöhter Anstrengungen in bezug ans gewählten, selbständigen Geschmack, sowie durch
erhöhte Kapitalinvestierung behaupten.
Diese Interessengegensätze, die internationaler Natur waren, wiesen iloch
eine speziell süddeutsche Seite in Gestalt der Frage auf, ob ein engerer Allschluß
an Oesterreich oder an Norddeutschland zweckmäßig sei? Die einen wurden
scholl durch politische Erwägnllgen in die letztere Richtuilg gedrängt, die anderen
neigten, namentlich auch ails Furcht vor der starken Konkurrenz der norddeutschen
und rheinischen Industrie zu einem engeren Anschluß an Oesterreich, dessen industrielle
Leistungsfähigkeit an die Siiddeutschlands nicht heranreichte.
Für die weitere Propaganda im Listschen Sinne tat sich im gleichen Frankfurt,
wo Fr. List drei Jahrzehnte zllvor eine führende Stelle im Fabrikantenverein ein
genommell hatte, gleichsam als sein Testamentsvollstrecker im Sommer 1848,
zur Zeit der Taguilg der Nationalversammlung, der „Allgemeine Verein zum
Schutze der vaterländischen Arbeit" aus, hauptsächlich mit der Aufgabe, den see-
städtischen Freihalidelsbestrebungen elltgegenzutreten. Diese Bestrebungen fanden allch
in Preußen (Rheinland, Schlesien) und Sachsen, vor allem aber ill Oesterreich
Anklang, wo sich die Regierung veranlaßt sah, die Aufnahme ihrer sämtlichen
Länder in den deutschen Zollverein zu beantragen. Damit erlangte der Gedanke
eines Zusammenschlusses der mitteleuropäischen Staaten zu einem Zollbund eine
hochpolitische Bedeutung, verschwand aber nach dem 1852 erfolgten Ableben des
österreichischen Ministerpräsidenten v. Schwarzenberg wieder von der Bildfläche.