15
„Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten: sie haben j
eine Welt zu gewinnen." Eine „Welt": etwas ganz Leeres, ganz
Abstraktes, ganz Unsinnliches.
Man hört alte jüdische Propheten reden. Aber auch von denen
hat Marx nichts als die Starrheit der Gesinnung. Nichts von dem
Schwung ihrer Gefühle, nichts von ihrem großen Pathos. Niemals
oder fast niemals wendet er sich an die großen Leidenschaften der
Menschen, niemals ruft er die Massen auf, für die großen Ideale
der Wahrheit und Gerechtigkeit in den Tod zu gehen; etwa wie es
die Prinzip gewordenen Helden der Montagne dereinst getan hatten.
Er spottet eher über die, die diesen Idealen ihr Leben opfern. „Sie
(die Arbeiterklasse) hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur
die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich
bereits im Schoße der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft ent
wickelt haben." Also ein schemenhafter, blutleerer Dogmatismus an
Stelle blühender, hinreißender, lebendiger Begeisterung.
Und trotz aller dieser abstoßenden Züge doch diese unerhörte
Sieghaftigkeit der Marx'schen Doktrin! Wie sollen wir uns das
erklären?!
Einem Teil der Gründe bin ich in meiner Schrift „Sozialismus
und soziale Bewegung'") nachgegangen, auf die ich den Leser für
alle Einzelheiten verweisen muß. Was ich dort an Gründen für die
Sieghaftigkeit der Marx'schen Ideenwelt angeführt habe, könnte
man als die realen Werte der Lehre bezeichnen; weil es diejenigen
sind, die wirklich vorhanden sind, weil es sich um Gedankenschöpfungen
handelt, die Marxens eigenstes Werk sind, die auch so wie sie Marx
gemeint hat, aufgefaßt werden und die auch einer späteren Kritik
') 6. Aufl., Jena 1908.