Full text: Grundzüge der Sozialpolitik

6. Kapitel. Mangel, Verlust und Sicherung der Arbeitsgelegenheit. 8,9 
auf Arbeitsgelegenheit würde also unbedingt zur Aufhebung oder weit 
gehenden Einengung des Grundsatzes des freien Arbeitsvertrages und 
der Freizügigkeit führen. Zu einem so großen Opfer sind die Arbeiter 
nicht bereit. 
Diese kurze Betrachtung mußte vorangestellt werden, weil es — 
theoretisch wenigstens — bei rechtlicher Anerkennung des Anspruchs 
auf Arbeitsgelegenheit und der entsprechenden Arbeitspflicht keine Ar 
beitslosen geben könnte, die durch den Wechsel der Marktverhältnisse 
ihre Beschäftigung eingebüßt hätten. Die ünständigkeit der Arbeits 
gelegenheit aus Gründen, die nicht in der Person des Arbeiters, 
sondern in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen des in Frage 
kommenden Produktionszweiges liegen, ist ein Übelstand, der mit den 
Grundlagen der heutigen Rechtsordnung bezüglich des Arbeitsver 
hältnisses auf das engste zusammenhängt. Es ist zugleich ein Übel 
stand von besonders tiefgreifenden Wirkungen. Die Sozialpolitik muß 
seiner Milderung besondere Sorgfalt widmen, weil der Erfolg aller 
sozialpolitischen Arbeit entweder ganz ausbleiben oder doch wesentlich 
beeinträchtigt werden muß, wenn der Arbeiter die Arbeitsgelegenheit 
und damit die Grundlage seiner materiellen Existenz verliert. Über 
dies liegt in einem solchen, durch die allgemeinen wirtschaftlichen 
Verhältnisse, nicht durch persönliche Schuld des Arbeiters verursachten 
Zustande eine ungemein fühlbare Härte. Wenn arbeitsfähige und 
arbeitswillige Menschen die Gelegenheit zur Verwertung ihrer Arbeits 
kraft verlieren oder nicht finden und dadurch selbst und mit ihren An 
gehörigen ins Elend geraten, so ist das ein so bitteres Schicksal, und 
es können bei größerer Ausdehnung dieses Zustandes daraus so große 
und nachhaltige Schädigungen hervorgehen, daß sich die Sozialpolitik 
eine schwere Unterlassungssünde zuschulden kommen lassen würde, 
wenn sie nicht nachdrücklich auf Abhilfe dringen und hinarbeiten würde. 
Dabei ist nicht zu übersehen, daß die Gefahr, wegen Verschiebung 
der wirtschaftlichen Verhältnisse die Arbeitsgelegenheit zu verlieren, 
im allgemeinen eher verwirklicht wird, wenn es sich um Arbeiter 
kleiner und kapitalschwacher Betriebe handelt, als bei den Arbeitern 
großer, kapitalkräftiger und deshalb zum Überdauern schlechter Zeiten 
besser befähigter Betriebe. Es ist unverkennbar, daß die Betriebe 
der letzteren Art oft große Opfer bringen, um die Arbeiter auch in 
schwierigen Zeiten halten zu können. Gewiß wirken dabei auch Rück 
sichten mit, die dem eigenen Interesse des Unternehmers entspringen. 
Es ist nicht selten für ihn das kleinere Übel, in schlechten Zeiten seinen 
Betrieb in Gang und seine Arbeiter in Beschäftigung selbst mit bedeuten 
den Opfern zu halten, als den Betrieb stillzusetzen. Aber die Wirkung 
auf die Arbeiterverhältnisse, die sich aus der Ünständigkeit der Arbeits 
gelegenheit ergibt, verliert dadurch nicht an praktischer Bedeutung-
	        
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