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Das Wachstum des Ackerlandes und die Entwickelung
der Anbauverhältnisse.
Den landwirtschaftlichen Rohertrag eines Landes ermittelt man in
der Regel aus der Grösse der in Kultur genommenen Fläche und dem
durchschnittlichen Ertrage von der Flächeneinheit. Bei dem Mangel an
ausreichenden statistischen Daten müssen wir aber darauf verzichten, für
den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die verschiedenen Kulturarten
und Anbauverhältnisse Deutschlands in der Differenzierung und Ausführ
lichkeit ermitteln zu wollen, wie sie die heutige Agrarstatistik bietet. Wir
vermögen also auch nicht die Erträge der verschiedenen Zweige der land
wirtschaftlichen Produktion nach der Mannigfaltigkeit ihrer Erzeugisse im
einzelnen so vollständig darzustellen, dass sich durch ihre Sümmierung der
Gesamtertrag der Landwirtschaft auf direktem Wege berechnen liesse.
Diese Gesamtertragsberechnung werden wir am Schlüsse auf einem andern
Wege durchzuführen suchen. Im einzelnen dagegen müssen wir uns, so
weit zunächst der Ackerbau in Betracht kommt, auf die Ermittelung der
Grösse des Ackerlandes und der Anbauflächen und Ernteerträge der wich
tigsten Pflanzenarten beschränken.
Wir beginnen mit demjenigen Staate, welcher die verhältnismässig
meisten statistischen Daten aufzuweisen hat und welcher auch wegen der
Grösse seines Gebietes in erster Linie in Betracht kommt: mit Preussen.
Als Quelle für die Erkenntnis der wirtschaftlichen und besonders auch der
landwirtschaftlichen Zustände Preussens zu Beginn des neunzehnten Jahr
hunderts dienen vornehmlich Leopold Krugs Betrachtungen über den
Nationalreichtum des preussischen Staats und über den Wohlstand seiner
Bewohner. Berlin 1805. In dieser Schrift berechnet Krug das Ackerland
Preussens für das Jahr 1802 auf 24130390 Morgen oder 3 / 16 des da
maligen Gebietes. Mit dieser Feststellung Krugs beschäftigt sich schon
G. Schmoller in einer älteren Abhandlung. 1 ) Er hält die Ziffer für zu
niedrig und meint, dass schon auf das kleinere Gebiet, welches Preussen
im Jahre 1816 einnahm, mindestens 24 Mill. Morgen Ackerland zu rechnen
seien. Conrad, der in seinen „Agrarstatistischen Untersuchungen“ 2 ) gegen
die Ausführungen Schm oll er s Stellung nimmt, hält auch in dieser Be
schränkung die Zahl von 24 Mill. noch für zu klein; denn wenn man die
damalige Bevölkerung Preussens, die sich von dieser Oberfläche ernährte,
in Betracht ziehe, so müsste man, zumal da Preussen damals noch Getreide
exportierte, einen viel höheren Ertrag von der Flächeneinheit annehmen,
als es den damaligen landwirtschaftlichen Verhältnissen nach angemessen
erscheine. Weiterhin sei auch die Basis der Krugschen Berechnung —
die Aussaatmenge — eine durchaus unsichere und überdies habe Krug
einen Fehler bei der Berechnung der Brache begangen, indem er für die
selbe statt V 2 nur 1 / 3 der besäten Fläche in Anrechnung gebracht habe.
1 ) Die Grösse des preussischen Viehstandes in der Zeit von 1802—1867. Neue
Landwirtschaftliche Zeitung von Fühl in g XIX. Jahrg. 1870.
2 ) Jahrbücher für Nat. und Stat. Bd. 18.