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ist aus dem Rahmen des Handwerks herausgetreten und eine fabrik
mäßige geworden. Mit der Auflösung der alten Innungen ging auch
der Zusammenhang verloren, den die Angehörigen desselben Ge
werbes zu ihrem Vorteil bis dahin gehabt hatten. Erst äußere Um
stände mißlicher Art führten wieder einen Zusammenschluß herbei,
dessen Wesen allerdings ein durchaus modernes Gepräge trägt.
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gewannen die Be
strebungen der sächsischen Spinner, die englische Konkurrenz zu
unterdrücken, festere Form in der Gestalt des im Jahre 1846 ge
gründeten „Vereins sächsischer Spinnerei-Besitzer“. Derselbe besteht
noch heute, umfaßt wohl sämtliche Baumwollspinnereien, Zwirnereien
und Nähfadenfabriken Sachsens und zählte 1902 53 Mitglieder mit
17000 Arbeitern 1 ). Diese Vereinigung blieb für lange Zeit hinaus
die einzige derartige Organisation. 1869 bezw. 1870 folgten, ver
anlaßt durch die Not der sechziger Jahre, die Baumwollindustriellen
des Elsaß bezw. Bayerns und Württembergs jenem Beispiel. Die
einen schlossen sich zu dem „Elsässischen Industriellen Syndikat“ zu
sammen, das alsbald der Sammelpunkt für alle hochschutzzöllnerischen
Bestrebungen wurde, die andern zu dem „Verein süddeutscher Baum-
woll-Industrieller“, der nicht nur auf zollpolitischem Gebiete, sondern
auch in bezug auf die Hebung des deutschen Baumwollhandels und
der deutschen Baumwollindustrie eine überaus rege Tätigkeit ent
faltete. 1903 zählte dieser letzte Verband 88 Mitglieder mit nahezu
50000 Arbeitern, 2301 476 Spindeln und 41 078 Webstühlen 1 2 ). Wieder
nach einer Reihe von Jahren, nämlich 1887, trat der „Verband rhei
nisch-westfälischer Baumwollspinner“ ins Leben, der 1902 45 Mit
glieder mit 14000 Arbeitern hatte.
Das grundlegende Prinzip aller dieser Verbände war eine Eini
gung über die Verkaufsbedingungen, die Erkenntnis der Solidarität
der Interessen und in gewissem Sinne die- zwingende Not der Ver
hältnisse waren der zusammenhaltende Kitt. Bevor z. B. der zuletzt
angeführte Verband bestand, machte sich der einzelne Spinner eine
falsche Vorstellung von den vorhandenen Garnvorräten und der
Nachfrage, er glaubte am klügsten zu handeln, wenn er für seine
Person soviel als möglich losschlug, mochte der Erlös seine Unkosten
decken oder nicht. Durch den Zusammenschluß wurde er eines
besseren belehrt; es ergab sich rechnungsmäßig, daß der Vorrat an
1) Verzeichnis der im Deutschen Reiche bestehenden Vereine gewerblicher Unter
nehmer zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Zusammengestellt im Reichsamt des
Innern. Berlin 1903, S. 234.
2) Jahresbericht des Verbandes 1903.